Kolumnen

Ballspiele und Höhepunkte

Immer, wenn sehr viele Männer sehr viel Fußball spielen, also immer dann, wenn eine Europa- oder Weltmeisterschaft stattfindet, macht sich der Schwarm Gedanken zum Thema „ Sex vor dem Spiel – ja oder nein?“ Berechtigte Frage, aber: Das kommt auf die Perspektive an.

Aus jener der Zuseher und Zuseherinnen würde ich sagen: reine Geschmackssache, im Grunde wurscht. Ob man nun vor der Übertragung eines Matchs vögelt oder nachher, wird sich auf das Spielergebnis und die Performance eines Manuel Neuer oder Cristiano Ronaldo kaum auswirken. Aber vielleicht auf die allgemeine Stimmungslage daheim. Wir sind ja schon mittendrin im Turnier und zunehmend wird klar: Nicht immer harmoniert der Ballhunger mit dem sexuellen Appetit des Partners (ich wage vorsichtig zu sagen: der Partnerin). Also versucht man die emotionale Ungleichung irgendwie zu lösen. Ein geschmeidiger Beischlaf, inklusive Zärtlichkeit und Zuwendung davor und danach, könnte im Vorfeld eines Spiels abfedernd wirken und die weniger Fußballinteressierten aus dem gefühlten Out holen. Zumal wissenschaftlich bewiesen ist: Sex macht glücklich. Ich darf da auf eine Studie der Psychologin Anik Debrot verweisen, in der zu lesen ist: „Wenn ein Mensch innerhalb der vergangenen 24 Stunden mit seinem Partner geschlafen hat, fühlt er sich ausgeglichener und optimistischer.“ So betrachtet, wäre natürlich eine Nummer nach dem Spiel durchaus sinnvoll – als Reparatur-Versuch. Heikles Unterfangen, weil der Arbeits- und Überzeugungsaufwand vermutlich um einiges höher ist als beim Präventivbeischlaf. Im schlimmsten Fall schlummert der Nicht-Fan schon, es wird trotzig in einem dicken Buch gelesen oder der achte Aperol Spritz mit gleichgesinnten WM-Ignoranten gezwitschert.

Bleibt nur noch die Frage, ob ein spontaner Geschlechtsverkehr zwischen zwei Spielhälften zu empfehlen wäre. Mein Bauchgefühl sagt mir: Das hängt vom aktuellen Beziehungsstatus ab. Im „Frisch zsam“-Modus bedeutet so ein Pausenfüller etwas ganz anderes als bei „fix zsam“- oder gar „sehr lang fix zsam“-Paaren. Protagonisten der ersten Kategorie werden sich mit dieser Sorte Quickie sicher leichter tun, als jene der Kategorie 2 und 3. Bei denen wird so ein Halbzeitkoitus wohl eher als Lückenbüßer interpretiert, das kommt gar nicht gut. Zuletzt noch zu den Hauptdarstellern solcher Ball-Veranstaltungen, den Spielern selbst. Da hielt sich sehr lange die apodiktische Idee einer zwingenden Abstinenz vor wichtigen Spielen, was allerdings als widerlegt gilt. Spätestens seit den Aussagen von Vera Ribeiro, Ehefrau des spanischen WM-Torhüters Rui Patricio. Die ist Sexualtherapeutin und meinte, dass Sex gegen Versagensängste und Nervosität hilft, sie empfiehlt ihn den Spielern ausdrücklich. Nun, wer die wissenschaftliche Literatur zum Thema „Sex vor Leistungssport“ durchackert, wird wenig entdecken, das für Askese und gegen sexuelle Betätigung im Rahmen solcher Turniere spricht. Bums-Marathons, womöglich Stunden vor Anpfiff, sind natürlich ebenso wenig zu empfehlen wie eine nächtliche Tour bis ins Morgengrauen durch die Puffs der Stadt. Aber das hat Frau Ribeiro vermutlich auch gar nicht gemeint.