Ich betrete die Bar. Im Nachthemd.
Von Simone Hoepke
Wochenende, ein fauler Abend allein zu Hause. Dem Anlass gebührend ziehe ich das vornehm gestreifte Nachthemd aus feinster Pseudo-Seide an, das ich auf Anraten von Vertrauten nur trage, wenn es keine Augenzeugen gibt.
Zufrieden mit der Welt lege ich mich auf die Couch, schalte den Fernseher ein. Das Hauptabendprogramm entfaltet sofort seine komatöse Wirkung. Ich schlafe ein.
Werde munter, als die Wohnungstür ins Schloss kracht. Schaue panisch um mich. Niemand in der Wohnung. Nicht einmal ich. Ich stehe vor der Wohnungstür, im Stiegenhaus. Barfuß, im Nachthemd. Ohne Schlüssel und Handy.
Für solche Erlebnisse gibt es einen Fachausdruck: Somnambulismus, heißt so viel wie Schlafwandeln.
Ich bin schlagartig munter. Rüttel an meiner einbruchssicheren Tür. Sie hält, was sie verspricht.
Klopfe beim Nachbarn gegenüber. Kein Bild, kein Ton.
Klingel bei den Wohnungen ober und unter mir – keiner da.
Schicke Stoßgebete gen Himmel. Keine Antwort.
Auch nicht gefühlte Stunden später. Kein Nachbar in Sicht, die Straße wie leer gefegt. Ich muss Hilfe suchen.
Kurz nach zwei Uhr morgens betrete ich im Nachthemd das Lokal schräg gegenüber. Meine Hoffnung, dass dort gerade eine Pyjama-Party über die Bühne geht, erfüllt sich nicht. Bei meinem Anblick kippt ein Betrunkener in Zeitlupe vom Barhocker, bietet mir höflich den frei gewordenen Platz an. Ich bestelle einen Anruf beim Schlüsseldienst, bekomme Komplimente für mein adrettes Aussehen und einen Cappuccino aufs Haus. Zur Sperrstunde gibt es einen tosenden Applaus – für den Herrn vom Schlüsseldienst, der endlich aufgetaucht ist.
Kurze Zeit später sitze ich auch schon wieder auf meiner Couch, vor dem noch immer laufenden Fernsehgerät. Ich habe den festen Vorsatz, nie wieder ohne salonfähigen Pyjama schlafen zu gehen.
Falls sich jemand fragt, ob mir das wirklich passiert ist: Natürlich nicht. Solche Aktionen liefert nur meine Cousine. Sie hat gesagt, ich darf von ihrem nächtlichen Ausflug erzählen, aber nur in der Ich-Form.