Kolumnen

Für das große Glücksgefühl muss man nicht gleich losrennen

Beim Lauftraining fühle ich mich nie fit und fidel. Eher alt und von akuter Atemennot geplagt.

Vom Runners High, dem viel zitierten Glückstaumel, keine Spur. Vielleicht auch, weil sich dieser berauschte Zustand erst ein- bis eineinhalb Stunden nach Trainingsstart einstellt. Also, wenn ich für gewöhnlich schon frisch geduscht und mit einer extra großen Portion Spaghetti im Bauch auf der Couch sitze.

Jenen Sportlern, die jetzt mit einem herablassenden Lächeln sagen, dass ich so nie in einen Flow kommen werde, sei verraten: Doch! Und zwar ganz ohne Laufschuhe und Yoga-Matte.

Direkt auf meiner Couch, die sich im Laufe der Jahre ergonomisch perfekt an meinen Körper angepasst hat. In meiner Kuhle werde ich sitzen, wenn mich der Endorphin-Rausch einholt.

Beim Stricken.

Stricken ist das neue Yoga. Meditativ, konzentrationsfördernd, Glückshormone versprühend. Das monotone Klappern mit den Nadeln kann einen in eine Flow versetzen. Es ist Training für Finger, Hände und Unterarme. Sogar gegen Arthrose soll es helfen. Wenn ich das richtig verstehe, ist stricken im Grunde so fad, dass der Pulsschlag sinkt, wie auch der Blutdruck. Selbst die Schlaflosigkeit vergeht einem beim Stricken.

Ich eile zum Wollgeschäft. Kaufe es fast leer. Lerne, dass Wolle teurer ist als eine fertige Designer-Decke. Glücksdrogen haben eben ihren Preis.

Ich stricke. Erst mit zusammengekniffenen Lippen, gerunzelter Stirn, beachtlicher Ganzkörperspannung. Bald routiniert wie eine Vorzeige-Oma.

Glatt, verkehrt, glatt, verkehrt. Nach diesem Muster nehme ich sogar ab. Der Impuls, alle 30 Sekunden in die Dose mit den Schoko-Keksen zu greifen, ist mir vergangen. Liegt an der hellen Wolle, die bis Feber eine Decke sein soll – ohne Schoko-Flecken.

Vor lauter Stricken hab ich jetzt gar keine Zeit mehr fürs Lauftraining. Schade. Macht aber nichts. Ich bin beim Stricken zu einer Erkenntnis gekommen: Ich verbringe mehr Zeit auf der Couch als auf der Strandliege.

Ein Bikini-Figur zahlt sich für mich gar nicht aus.