Kolumnen

Fabelhafte Welt: Wo sind all die Bücher?

Um eines vorweg klarzustellen: ich mag IKEA nicht. Ich mag es nicht, wenn mich Fremde duzen, mich ängstigt kollektiver Kaufrausch, ich habe weder die Sinnhaftigkeit von Dekokissen noch Teelichterhaltern je verstanden und hege zudem die Vermutung, dass IKEAs Fleischbällchen aus denjenigen Pressholzresten bestehen, die bei der Möbelproduktion übrig bleiben. Wann immer ich verschwitzt, entnervt und außer Atem die blau-gelbe Reizüberflutung überstanden habe, schwöre ich mir, dass dies der letzte Besuch war. Aber IKEA hat etwas, das ich brauche: Billy Bücherregale. Meine Bücher leben in Billys, seit ich von zuhause ausgezogen bin. Natürlich hätte ich gern ein anständiges Bücherregal, eines, das weder wackelt, noch nach ein paar Jahren aussieht, als litte es furchtbare Schmerzen, doch meine Bücher werden ständig mehr und Billy wächst mit. Durch sechs Wohnungen zog meine Billy-Herde, ich dachte, das sei so bei allen Menschen ohne Geld für meistertischlerisch verfertigte Buchaufbewahrungslösungen.
Doch im neuen IKEA-Katalog, dem weltweit jährlich am meisten konsumierten Druckwerk, stehen KEINE Bücher mehr in den Bücherregalen! Ich dachte lang über diesen Umstand nach und kam zu dem Schluss, dass die Menschheit am Ende ist. Der Erfolg von IKEA ist immerhin, sich den Bedürfnissen der Gesellschaft anzupassen. Die Scheidungsrate steigt? Hej, wir haben tolle Single-Küchen! Du hast alles und bist trotzdem unglücklich? Hej, wir haben viele verschiedene Sorten Duftkerzen! Du bist zu geizig und zu ignorant, um Dir ein echtes Bild zu kaufen? Hej, schau dir mal unsere Drucke an! Du willst statt Bücher zu lesen lieber in dein Smartphone starren? Hej, in unsere Billys kann man auch Vasen stellen!
Bereiten wir uns daher auf die Apokalypse vor, liebe Leserinnen und Leser, denn zumindest unsere Spezies stirbt aus.

vea.kaiser@kurier.at