Kolumnen

Fabelhafte Welt: Wenn Siri streikt

Bald werde ich von dem Draht befreit, der mir sechs Wochen den Finger versteifte und ungünstig aus dem Nagel ragt. Ich versuchte, diesem Zustand Positives abzugewinnen: dass es Schlimmeres gibt, als sich die Haare waschen zu lassen oder keine Wäsche zu machen, weil man überall hängen bleibt.
Doch nicht richtig tippen zu können, da eine Hand, allein gelassen auf der plötzlich riesigen Tastatur, die Buchstaben sucht wie ein blindes Henderl sein Korn, macht mich wahnsinnig. In einer geistigen Umnachtung versuchte ich, der Spracherkennungssoftware meines Telefons zu diktieren. Diese ist allerdings legasthenisch UND derrisch. Wahrscheinlich muss es Masochismus gewesen sein, dass ich nicht sofort aufgab. Ich versuchte alles: langsamer reden, lauter, deutlicher, hochdeutscher. Ich flehte das Handy an, ich beschimpfte es. Und dann dachte ich an meinen Schwiegervater. Letzten Sommer standen wir vor dem Haus seines Freundes Achille. Da es ein Merkmal süditalienischer Türglocken ist, immer kaputt zu sein, zückte mein Schwiegervater sein Handy und befahl dem Sprachassistenten, den Freund anzurufen: „Siri, chiama Achille.“
Siri tat so, als ob es von den 21 Sprachen, die es laut Hersteller beherrscht, ausgerechnet Italienisch verlernt habe. „Siri, chiama Achille“, wiederholte mein Schwiegervater. Siri streikte. „Siri, chiama Achille“, sagte er ein letztes Mal, und als Siri noch immer nicht spurte, steckte mein Schwiegervater das Telefon weg und tat, was er schon als Bub getan hatte. Er blickte nach oben und brüllte inbrünstig: „ACHILLE!“ Woraufhin Achilles Lockenkopf im Fenster erschien.
Und so schritt auch ich zum Äußersten und tat, was ich schon als Volksschulkind getan hatte: ich griff zu Füllfeder und Tintenkiller. Ach, wie oft übersehen wir beim Versuch, uns das Leben leichter zu machen, dass es eigentlich so einfach sein kann.

vea.kaiser@kurier.at