Fabelhafte Welt: Selfie-Mania in Paris
Von Vea Kaiser
Meine Familie ist enttäuscht von mir. Fünf Tage war ich in Paris, und kein einziges schönes Foto habe ich von dort geschickt. Dass ich, die im Jahr achtzig Tage unterwegs ist, nicht von überall eine Postkarte sende, haben alle eingesehen. Aber aus Paris, da hätt’ ich doch ein kleines Selfie vor tollem Hintergrund schicken können!
Theoretisch haben sie recht. Paris ist tatsächlich ein präsentables Outdoor-Fotostudio voller dekorativer Ecken. Aber im Smartphonezeitalter ist das ein Problem. Als ich nach meiner Ankunft an der Seine joggte, kreuzte ich nicht weniger als 32 (!) „Influencer“, die verrenkt Fetzen oder Getränkebecher in die Kamera hielten, um spontan und natürlich zu wirken. Auf der Brücke zum Eiffelturm begegnete ich einem schicken Pärchen, das seither in meinen Albträumen auftaucht. Sie ließen sich von einem vor ihnen kauernden Fotografen dabei ablichten, wie sie einander die Mundhöhlen ausschleckten. Das hatte nichts mehr mit Liebe zu tun: Das war das Making-of eines „romantischen Kussfotos vor dem Eiffelturm“.
Tags darauf sah ich im Louvre eine junge Frau, die anstatt die Gemälde zu genießen, eine halbe Stunde vor einem riesigen Spiegel ihre Baskenmütze adjustierte, ehe sie dann eine weitere halbe Stunde ein Spiegelselfie knipste. Ausgerechnet im selben Museum gibt es auch ein Gemälde Poussins, das den griechischen Mythos von Narziss zeigt. Narziss war ein wunderschöner Jüngling, der von Menschen wie Göttern begehrt wurde. Er wies jedoch alle Avancen zurück, und verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild. Sich selbst anschmachtend konnte er nicht mehr aufhören, sein Abbild zu betrachten, bis er qualvoll verhungerte und zu einer kleinen gelben Blumen wurde. Das nächste Mal werde ich für meine Familie Menschen fotografieren, wie sie sich selbst fotografieren. Und diese Reihe heißt dann: Narzisse(n) in Paris.
vea.kaiser@kurier.at