Fabelhafte Welt: Meine Mutter und das Bambi
Von Vea Kaiser
Meine Mutter hat einen Feind. Wenn Sie meine Mutter kennen würden, würden Sie jetzt schlucken: denn meine Mutter ist nicht der Typ Mensch, der Feinde hat. Ich hingegen habe viele: Amazon, Wizz Air, den Grätzlwächter von gegenüber, einen Kollegen, der getarnt bösartigste Rezensionen schreibt.
Wenn ich mich beim Sport plage, stelle ich mir zur Motivation deren aller Untergang vor. Derlei ist meiner Mutter fremd. Sie ist die Güte und Herzenswärme in Person, hat immer ein offenes Ohr sowie kühlen Weißwein für Rat-Suchende und vergibt alles. Doch nun stahl sich in der Finsternis ein Bösewicht in Mutters Allerheiligstes, ihren Garten, und rupfte den prächtigen Endivien-Salat aus. Zunächst lächelte sie diesen Diebstahl weg, vermutend, ein Nachbar hätte Heißhunger auf Salat verspürt.
Doch als ihr liebevoll gezüchtetes Gemüse weiter dezimiert wurde, zürnte sie und schickte ihre Geheimwaffe aus: meinen Vater. Stundenlang suchte er den Garten nach Spuren ab, doch nichts verriet, ob ein Nachbar plünderte oder sich ehemalige Schüler einen Jux erlaubten. Als das Hochbeet leer war, rüstete ihr Feind auf und schnitt im Schutze der Dunkelheit ihre Rosenknospen ab. Der Konflikt eskalierte. Mein Vater musste nächtelang lauern, um den Eindringling zu schnappen. Meine Mutter legte detektivisch Listen mit Tatverdächtigen an.
Den Göttern sei dank, regnete es, und der Übeltäter hinterließ Spuren im feuchten Boden, ehe ein Nachbarschaftskrieg ausbrach: Es war ein Reh, das in der Nachbarswiese mit seinen Kitzen saß, das meiner Mutter Garten zum Wochenbett-Catering auserkoren hatte. Ich dachte, dafür hätte sie Verständnis, doch stattdessen wurde mein Vater in den Baumarkt beordert, um den Zaun zur Festung auszubauen. „Und wenn das nicht hilft, ruf ich den Jäger“, sagte sie. Ich lernte: Meine Mutter vergibt alles und allen. Nur Bambi nicht.
vea.kaiser@kurier.at