Fabelhafte Welt: Er lächelte. Ich lächelte.
Von Vea Kaiser
Ich nahm mir vor, mir für 2020 nichts vorzunehmen, weil ich Vorsätze eh nie schaffe. Und dementsprechend ging mein Vorsatz, mir keine Vorsätze zu nehmen, schon am 01.01. den Bach runter. Als ich nämlich am 01.01. zwölf Kilometer joggte, beschloss ich voller Euphorie, im Jänner sechs Mal die Woche Sport zu treiben. Doch als ich mich tags darauf im Fitnessstudio mit besonders verhassten Bauchmuskelübungen abquälte, traf mich der Blick eines adretten Mannes. Er lächelte. Ich lächelte. Allerdings lächelte ich, weil ich nicht wusste, warum er lächelte. Wollte er mich anfeuern? Oder hatte er mich erkannt? Menschen erkennen mich grundsätzlich nur in hochnotpeinlichen Situationen, zum Beispiel völlig derangiert an der IKEA-Kasse, nackt in der Yogastudio-Dusche, oder mit Schlamm beschmiert in der Hundezone, nachdem ich meinen Hund mal wieder nur einfangen konnte, indem ich mich auf ihn warf. Mit hochrotem Schädl am Boden herumkriechend, wäre eine dieser typischen Situationen. Doch nein! Als ich schon draußen auf der Straße war, rannte er mir hinterher und fragte mich nach meinem Namen: Ich sei so schön, ob wir uns mal treffen könnten? Und ich? Völlig perplex stotterte ich, ich sei spät dran, und rannte davon. Seither quält mich das schlechte Gewissen: Ich hätte ihn auch nett abservieren können! Immerhin ist das großartig, wenn sich ein echter Mann 2020 noch traut, eine echte Frau in Echt anzusprechen, anstatt irgendwelche Internet-Dating-Plattformen zu benutzen. Andererseits: Bauchmuskeltraining ist ein intimer Moment, da will doch kein normaler Mensch flirten? Seither war ich jedenfalls nicht mehr trainieren, weil ich ständig überlege, was ich zu dem Herren sagen sollte, wenn wir uns wiederträfen. Und somit wäre der Vorsatz, den ich fasste, nachdem ich den Vorsatz nicht schaffte, mir keine Vorsätze zu nehmen, auch wieder dahin.
vea.kaiser@kurier.at