Fabelhafte Welt: Die Eltern können auch ganz anders
Von Vea Kaiser
Viele Freunde, die sich bereits fortgepflanzt haben, beklagen sich über das Verwöhnprogramm, das die eigenen Eltern den eigenen Kindern angedeihen lassen. Als von den Großeltern bis zur Unendlichkeit verwöhnter Mensch, der ich bin, mag ich solche Beschwerden überhaupt nicht. „Seid froh, dass euch eure Eltern unterstützen!“, sage ich dann immer und lasse keine Klage zu. „Seht mich an und merket: Es wird euren Kindern nicht schaden!“ Doch dann holte mich die andere Perspektive schneller ein als gewollt. Ich habe zwar keine Kinder, allerdings einen Hund, den meine Eltern in Ermangelung von Enkelkindern zum Enkelhund promoviert haben. Und selbiger wohnt zurzeit bei ihnen, da ich mit meinem neuen Buch touren muss. Ich hab meinen Eltern eingeschärft, sie müssen Konsequenz und Strenge an den Tag legen, nicht nur mit dem Hund spielen, sondern ihn auch erziehen. Zu meiner großen Freude erklärte mir meine Mutter: „Wir bilden den Dante jetzt zum Trüffel-Spürhund aus!“ Doch dann merkte ich, was sie darunter versteht: und zwar, ihm zur Belohnung Trüffelkäse zu füttern, auf dass er Gusto entwickle. Anstatt jedoch den Waldboden zu durchkämmen, schläft er nun wartend vor dem Kühlschrank. Ich setzte also auf meinen strengen Vater, bis der mich beim Grillen fragte: „Bevorzugt der Dante sein Fleisch leicht gegrillt oder ganz roh?“ Dieselben beiden Menschen, die uns Kinder weder für eine gute Schulnote belohnt hätten und erzogen haben mit dem Satz: „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“. Plötzlich verstand ich, was meine fortgepflanzten Freunde so aufregte: die Erkenntnis, dass die eigenen Eltern auch ganz anders können. Trotzdem kritisierten mein Bruder und ich unsere Eltern dafür, dass der Hund alles darf, was wir nie durften. Sie antworteten: „Das Wichtigste ist, wir haben euch alle gleich lieb.“
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