Fabelhafte Welt: Bitte mit Bart!
Von Vea Kaiser
Ich glaube nicht an die altbekannte Küchentischpsychologie, dass die Männervorlieben der meisten Frauen von den Beziehungen zu ihren Vätern beeinflusst seien. Dennoch kann ich nicht leugnen, dass eine halbstündige Aktion meines Vaters vor mehr als zwanzig Jahren nachhaltigen Einfluss darauf ausübte, in welche Männer ich mich verschaute.
Es geschah am Tag meiner Erstkommunion. Meine Mutter hatte mir einen „flotten Kurzhaarschnitt“ verpasst, mit dem ich wie ein vergessenes Nachwuchs-Mitglied der Beatles aussah. Das weiße Kleid mit den Gänseblümchen fand ich, die damals Piratin oder Sheriff im Wilden Westen werden wollte, hochnotpeinlich. Und dass mir mein bester Freund nicht zur Seite stehen durfte, weil er kein Katholik war, weckte Austrittswünsche, noch ehe ich vollwertiges
Mitglied war.
Es war aber mein Vater, der dem Ganzen die Krone aufsetzte: indem er wenige Minuten, bevor wir von zuhause aufbrechen mussten, aus dem Badezimmer trat und plötzlich aussah wie meine Oma. Er hatte sich aus einer spontanen Laune heraus seinen prächtigen Bart abrasiert. Diesen Bart vermisse ich bis heute, und wahrscheinlich führte dieses Trauma dazu, dass ich meinen Mann, als es zwischen uns ernst wurde, vor die Wahl stellte: entweder ich oder sein Rasierapparat.
Vor Kurzem las ich übrigens, dass rasierte Gesichter erst Anfang des 20. Jahrhunderts zum Stil der Mehrheit wurden. Nachdem Robert Koch entdeckt hatte, dass die Tuberkulose nicht angeboren ist, sondern von einem Bakterium verursacht wird, bekam die Menschheit Angst vor Keimen. Und somit wurden die glatten Backen im Kampf gegen die Tuberkulose der Hygiene wegen modern.
Und gut hundert Jahre später bringt mit dem Quarantäne-Bart nun ausgerechnet ein Virus in Mode, was ein Bakterium
verdrängt hat.