Fabelhafte Welt: Bitte benutzen Sie Ihre Beinchen!
Von Vea Kaiser
Neulich traten der Hund und ich auf den Gehsteig, als plötzlich ein E-Scooter auf uns zufetzte. Nur durch einen filmreifen Sprung beiseite konnten wir uns retten. Ich brüllte diesem asozialen Objekt die tiefsten Schimpfworte hinterher, die ich an niederösterreichischen Stammtischen gelernt hatte. Der Fahrer raste weiter. Dank seiner überdimensionalen Kopfhörer hatte er weder mich noch den großmaulig bellenden Hund gehört. Seit ich mit einem Süditaliener verheiratet bin, hege ich ja gewisse Sympathien für Verkehrs-Rebellen, aber diese E-Roller sind mir zuwider. Was ist so schlimm daran, seine Beinchen zu benutzen?
Zuerst kam das Car-Sharing, dann kamen die Leihfahrräder, nun Leihroller. Was als Nächstes? E-Stelzen für besseren Überblick in der City? Leih-Skateboards, um die Umsteigedistanzen in der U-Bahn zu überbrücken? Warum nicht gleich die ganze Stadt mit Rollbändern ausstatten? Ich kannte die grundsätzliche Eigen-Fuß-Verweigerung bisher von zwei Gruppen: Pubertieren und Landbewohnern. Auf dem Land ist es üblich, zu jeder noch so nahen Erledigung mit dem Auto zu fahren. Wer sich ohne Hund zu Fuß von A nach B bewegt, ist wahrscheinlich betrunken. Dass nun auch Bewohner einer wunderschönen Stadt wie Wien nicht zu Fuß gehen wollen, könnte also an der allgemeinen Landlust liegen: dass sich neuerdings die Stadtbewohner die Landbewohner zum Vorbild nehmen. Oder die städtische Gesellschaft pubertiert. Teenager wachsen noch. Das führt zu verringerter Energie bei erhöhtem Schlafbedürfnis und Koordinationsproblemen aufgrund ungleichmäßig sprießender Gliedmaßen. Das allerdings ist glücklicherweise nur eine Phase. Die Leih-Fahrräder endeten bei der MA48 und es bleibt zu hoffen, dass die Wiener den E-Scootern entwachsen. Pubertiere hält auf Dauer nämlich niemand aus.
vea.kaiser@kurier.at