Das Wonnenbad
1903 erschien die Erzählung Tonio Kröger von Thomas Mann, Monolith deutscher Literatur. Tonio Kröger, der in Lübeck (?) aufwächst, leidet unter dem genetischen Erbanteil seiner italienischen Mutter, sieht er doch, im Gegensatz zu den sortenreinen Norddeutschen, südländisch aus. (Das Wort Zigeuner geistert durch das ganze Buch.) Herr Kröger möchte Künstler sein, einer, der die Sehnsucht nicht kennt nach dem Harmlosen, Einfachen und Lebendigen, (…) nach den Wonnen der Gewöhnlichkeit!“ Und da sind wir beim Thema:
Die Wonnen der Gewöhnlichkeit.
Noch nie wurde das Mediokre, das Periphere, das Vereinfachende, das Dreiste, das Verallgemeinernde, das sich zu Eigen machen veröffentlichter Meinung jeder Art, das Einfordern von Lebensentwürfen, das Engstirnige, das Hinterherrennen, das Grölen, das Skandieren, kurz, das trüber Gast auf dieser dunklen Erde sein, literarisch so messerscharf beschrieben, analysiert und beim Namen genannt, wie mit „Wonnen der Gewöhnlichkeit“. Es steht wie gemeißelt über der Menschheitsgeschichte, bestimmt sie weitgehend und wird nur aus den Banden der uninspirierten Fortgesetztheit befreit, durch Menschen, die sich ihnen entziehen, den Wonnen der Gewöhnlichkeit. Wobei es egal ist, wie man „Gewöhnlichkeit“ versteht. Als Gewohnheit(en), als niederer Instinkt oder als schlichtes Gemüt. Es wird sie – dem jeweiligen Zeitgeist unterworfen – immer geben. Und sind es nicht tatsächlich Wonnen, die uns zart durchschauern, wenn einer ruft: „Wo sind die Hände?“, und wir diese nach oben reißen? Wenn wir angeleitet von einem unhinterfragten Außen im Inneren der Masse unsere Identität verlieren? Und dem Knaben Tonio, der ruft: „Der Kaiser ist nackt!“ ein Kopfstück geben?