Chaos de Luxe: „Sechsspännig ins Armenhaus”
Von Polly Adler
Es gibt Freunde in meinem Leben, die ich nicht mehr verlieren werde. Selbst wenn ich mich zu einer Karriere als Alterskleptomanin entschließen oder in Tourette-Selbstgesprächen versinken sollte. M ist eine solche. Bei meinem jüngsten Besuch öffnete sie mir im vollen Ornat, also behängt wie der Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller Center. Meinen Blick replizierte sie: „Darling, ich habe mir einiges an Juwelen aus dem Dorotheum zurück geholt.“ Nachsatz: „Worauf soll ich warten?“ In ihrem exzessreichen Rock-'n' Roll-Leben war es immer wieder zu finanziellen Engpässen gekommen und sie hatte die Klunker aus ihrer aristokratischen Erbmasse verhökert. Wir tranken Tee aus einer fetten Silberkanne, das versilberte Zeug hatte sie entsorgt: „In meinem Alter sollte man Alpacca hinter sich gelassen haben.“ Es war wie immer ein geistiges Fest, denn M besaß ein Reservoir an kuriosem Wissen. Sie wusste alles über die Mitford-Schwestern, Hemingways Depressionen, die Kindheit diverser Serienkiller oder Prinzessin Margarets Hofdamen. Eine aus der Margaret-Truppe, Anne Glenconner, heute um die 80, tourte gerade durch die britischen Talkshows und beklagte sich dort, bestens gekleidet, über die schwulen Phasen im Leben ihres verstorbenen Mannes, eines Lords. In der Disziplin verschrobene Dekadenz und Selbstironie sind die Briten Weltklasse. „Role Model!“ riefen wir fröhlich, als wir Glenconner auf Youtube fischten. En passant erklärte M mir, dass es durch eine bombastische SVA-Nachzahlung momentan blassrosa auf ihrem Konto aussehe. Die damit verbundene nervliche Anspannung hatte sie mit einem Weihnachtsservice von Wedgwood zu bekämpfen versucht. Einhellig brüllten wir: „Na freilich, was denn. Worauf soll man warten?“ Schließlich war M zu alt, wie sie sagte, um ihrem Lebensmotto „Sechsspännig ins Armenhaus“ untreu zu werden. Was für ein Reichtum an Nonchalance!
Buchtipp: Polly Adlers „Amourhatscher – das Beste aus 20 Jahren“.
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