Chaos de Luxe: Schrullen satt
Von Polly Adler
Polly Adler über den Gebrauchtmänner-Markt
F blickte auf das Display ihres Handys, schüttelte den Kopf und sagte den Satz, der sämtliche Rest-Illusionen in die Luft sprengte: „Der Gebrauchtmänner-Markt ist ein Fiasko.“ Gerade war wieder ein neues Gedicht eines Kandidaten eingetrudelt. Es stammte aus der Kategorie „Rilke für Reihenhausbewohner“ und war ziemlich Herbst-und-welkes-Laub-lastig. „Worüber beschwerst du dich“, motzte ich, „ein Mann aus der 50plus-Liga, der Gedichte schreibt, ist doch so selten wie ein Regenbogen scheißendes Einhorn. Rührt dich das nicht?“ – „Es rührt mich deswegen, weil sie so schlecht sind. Er hat mir außerdem gleich nach unserem ersten gemeinsamen Bananensplit mitgeteilt, dass er ein Nähe-Distanz-Problem hat und sich überhaupt erst einmal klar werden muss, was er will.“ Oh Gott, nicht schon wieder. Wie langweilig aber auch. Immer im Schutzanzug ins emotionale Katastrophengebiet. Wo sind die Zeiten, als man sich noch Hals über Kopf, ohne Sicht auf den Notausgang, in die Augen eines Menschen warf? Ich konnte mir auch gleich die Antwort geben: Begraben für immer in den Neunzigern. Jener Dekade, in der Laktose-Intoleranz als Exotikum galt, man keine App brauchte, um seine „mood“ zu raten und keine Energiearbeiter geheuert wurden, wenn man sich einmal ein wenig schlapp fühlte. O tempora, o amore! @ovid, und ja, Beziehungsstatus: erledigt. Ich spendete ihr keinen Trost und viel Ratlosigkeit: „Es ist natürlich wie am Immo-Markt – lauter Bastlerhits im Angebot. Und blicken wir der Wahrheit tapfer ins Auge: Wir fallen auch schon in diese Kategorie. Renovierungsbedürftig und bereits Schrullen satt. Ich habe mich unlängst sogar bei einem Selbstgespräch ertappt.“ – „Himmel! Wie ekelig! Und was hast du dir gesagt?“ – „Wenn du so weiter machst, red' ich kein Wort mehr mit dir.“
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„Breakfast at Polly’s“ am 3. Juni um 11 Uhr im Wiener Rabenhof mit Petra Morzé und Andrea Händler fällt krankheitsbedingt aus.