Chaos de Luxe: „Herrlich gottlose Racker”
Von Polly Adler
Was für eine Prachtperson! 94 Jahre alt, kirschrote Lippen, ein kecker Turban in couragiertem Smaragdgrün, die arthritisgekrümmten Finger reichlich beringt. Ich knie vor alten Menschen, die sich ihren Schalk bewahrt haben, mondäne Gelassenheit an den Tag legen und das Jammern aus ihrem Wortschatz verbannt haben. Ich hatte diese alte Dame auf dem Vorgarten-Markt kennen gelernt, als sie im Lieblings-Fischgeschäft ein Gläschen Rosé zwitscherte und in einem Buch schmökerte, das ich auch gerade auf meinem Nachtkästchen liegen hatte: „Und alle benehmen sich daneben – wie Hemingway seine Legende erschuf.“ Madame Cora sagte mit Blick auf ihren in Regenbogenfarben bemalten Rollator: „Was für herrlich gottlose Racker diese Jungs doch waren! Nach Paris werde ich wohl nicht mehr kommen. Mein Körper, dieser Idiot, ist eine einzige Katastrophe. Also muss ich mir mein Paris einfach selbst machen.“ Sie ließ mich ein bisschen in das Universum ihrer Biografie eintauchen: „Ich habe einfach immer so gerne geheiratet.“ Zwei der Herren hatte sie „mittels natürlichem Abgang“ verloren, einen hatte sie wegen einer Krankenschwester („Mein Pflege-Gen war leider nicht sehr ausgeprägt!“) verloren, einen selbst verlassen, denn „er besaß den Humor eines Todestraktbewohners in einem Hochsicherheitsgefängnis.“ Dann beklagte sie sich über die Biederkeit ihrer Söhne, alle sehr erfolgreich und sehr proper, die würden ihr ganzes Leben in Apps vermessen: „Sie zählen ihre Schritte, ihre Kalorien, ihre Schlafphasen. Vor lauter Zählen vergessen sie zu leben.“ Sie seufzte. „Möglicherweise ist das ihre Form der Rebellion gegen die Nonchalance der Mutter“, wandte ich ein, „das Gezeitensystem der Generationen.“ – „Charakter ist eben unser Schicksal“, lächelte sie, „das stammt leider nicht von mir, sondern von Oskar Werner. Aber, Kinderle, eines müssen sie mir versprechen: Bessern Sie sich nicht.“ Ich legte einen Fünfsterne-Schwur ab.
Tipp: „Nymphen in Not“ am 9. August im Südbahnhotel am Semmering: Mit Ulrike Beimpold & Petra Morzé.
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