Chaos de Luxe: Das Leben – eine Île flottante
Von Polly Adler
Polly Adler über Tischgespräche alter Herren
Ich fiel fast vom Stuhl. Während der Wartezeit auf meinen Essens-Gefährten (ich hatte endlich jemand gefunden, der noch unpünktlicher war als ich) in diesem französischen Restaurant lauschte ich der „conversation agréable“ der beiden Herren am Nebentisch. Der eine trug seine Tränensäcke bereits bodenlang und sah auch sonst so aus, als ob der Traktor des Schicksals schon mehrfach über sein Gesicht gerattert ist. Er sagte jetzt zu seinem Freund: „Lieber Paul, ich möchte endlich wieder einmal mein Gesicht in den Oberschenkeln einer Kammerzofe versenken, deren Innenseiten nach
Lavendelwasser duften.“ Der Freund rührte ob der poetischen Wucht dieser Aussage gedankenschwer in seiner „Île flottante“, einem Dessert, zu dem ich eine besondere Bindung besaß. Ich wusste, dass mein Großvater sich aufgegeben hatte, als er keinen Löffel mehr von den Schneenockerln im Vanillebad, die ihm die Oma noch schnell ans Spitalsbett gebracht hatte, zu sich nehmen wollte. Aber zurück ins Leben. Paul hatte wieder Text: „Lieber Freund, Gelassenheit! Du sitzt doch auf einer Schatzkiste der Erinnerungen. Mehr erotische Abenteuer passen kaum in ein einzelnes Männerleben.“ Jetzt kroch wieder der Schalk in das Gesicht unseres Lavendel-Erotikers: „Oh ja, die Frauen! Ich habe sie gruppenweise in den Wahnsinn getrieben ... aber nur an eine werde ich mich an meinem Totenbett erinnern.“ Paul: „Warum?“ – „Weil es die einzige war, die mich in den Wahnsinn getrieben hat. Ich konnte neun Tage nichts essen und weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte. Sie war ein solches fantastisches Luder!“ Klar. Die, die uns die meisten Schmerzen zugefügt haben, halten wir am höchsten. Jetzt trudelte mein Dinner-Herr ein und ich flüsterte: „Wenn du das nächste Mal zu spät kommst, lass dir bitte einfach mehr Zeit.“
www.pollyadler.at
polly.adler@kurier.at
Polly liest mit Maria Happel, Petra Morzé und Andrea Händler am 20. April um 19 Uhr 30 im Danubium in Tulln.