Leben

Abenteuer im Kopf

Als Kind wuchs er in der südafrikanischen Kalahari-Wüste auf. Heute ist Henry Markram, erst 53-jährig, einer der erfolgreichsten Wissenschaftler der Welt. Vielleicht auch, weil er mit der Realität konfrontiert wurde, dass sein Sohn Kai Autist ist, hat Henry Markram schon sehr früh begonnen, das Wunder Gehirn zu erforschen. Das gigantische, milliardenteure EU-Vorhaben Human Brain Project, mithilfe eines Supercomputers das menschliche Gehirn nachzubauen, ist seine Idee. Lange wurde er für seine Vision bestenfalls belächelt. Doch inzwischen kann der israelische Hirnforscher eine erlesene Liste von collaborating scientists vorweisen, Universitäten von Paris bis Stockholm, von Heidelberg bis Innsbruck unterstützen Europas technologisches Vorzeigeprojekt. Zwar sind viele Forscher weiterhin skeptisch und zweifeln an der Vision eines Kunsthirns, doch die Chance, bei einem großzügig geförderten Wissenschaftsvorhaben dabei zu sein, ist verlockend. Hundert Milliarden Nervenzellen tragen wir im Kopf mit uns herum, vermuten Neurologen, auf einem einzigen Quadratmillimeter finden sich in unserem Denkapparat demnach rund hunderttausend Nervenzellen. Das künstliche Gehirn soll Zelle für Zelle, Molekül für Molekül in Form einer detailgetreuen Simulation in einem gigantischen Computer völlig neuen Typs gebaut werden. Das klingt heute noch nach Frankenstein – aber Henry Markram und seine unterstützenden Wissenschaftler in ganz Europa sind zuversichtlich: Bereits in weniger als zehn Jahren wird es künstliche Intelligenz geben. Ein Gehirn, in dem Computerchips alle Funktionen simulieren.

Ziel ist es, meint Markram, das menschliche Gehirn so detailgetreu nachzubauen, dass wir endlich verstehen können, welche Abläufe sich im Kopf abspielen. Das wäre noch vor kurzem undenkbar gewesen – jetzt haben wir die entsprechende Technik dafür. An der technischen Hochschule in Lausanne am Genfer See, wo Henry Markram das Human Brain Project entwickelt, arbeitet er gemeinsam mit 40 Biologen, Informatikern, Neurologen und Physikern mit seinem höchst potenten Partner – einem der leistungsstärksten Computer der Welt. Unglaubliche, nicht begreifbare zwanzig Trillionen (20.000.000.000.000.000.000) Berechnungen kann das Gerät innerhalb einer Sekunde ausführen – und so die Hirntätigkeiten simulieren. Damit konnte man in den vergangenen Jahren bereits ein erstes, winziges Gehirn nachbilden. Mit Zehntausenden Chips wurde die Großhirnrinde einer Ratte nachgebaut. Das Grundprinzip funktioniert also schon, freuen sich Markram und sein Schweizer Wissenschafts-Team, jetzt muss die Simulation nur noch ein paar Nummern größer werden. Schließlich verfügt das menschliche Hirn über 100 Billionen Neuronen, die wir alle detailgetreu nachzubilden haben …

Ob diese Vision je wahr wird, kann man heute noch nicht sagen. Jedenfalls ist das künstliche Gehirn kein Stephen-King-Szenario, sondern verfolgt ein zutiefst humanes Ziel: Das zentrale Organ des Menschen, das Hirn, soll besser verstanden werden. Dadurch könnte die Therapie vieler neurologischer Leiden effizienter werden. Von Alzheimer- bis zur Parkinsonkrankheit. Und Autismus.

michael.horowitz@kurier.at