Zeitsprung
Von Eva Gogala
Ein großes, rotes „G“ mit einem schneebedeckten Berggipfel. Aus dem Buchstaben scheint ein dunkelblauer Straßenkreuzer herauszukommen. So ein Aufkleber in der Heckscheibe eines VW-Käfers, eines Opel Kadett oder eines Ford Taunus signalisierte: Das sind Menschen, die weit herumgekommen sind und die Welt kennengelernt haben. Oder zumindest Österreich. Die Großglockner Hochalpenstraße.
Damals, in den 1960er-Jahren, lernten wir als Kinder das Land kennen. Autofahren war kein notwendiges Übel, sondern etwas, worauf man stolz war. Die Mittagsglocken der Pfarrkirche von St. Benedikt in Hintertupfing um Punkt 12 Uhr gehörte zum Tagesritual und die Moderatoren der Radiosendung „Autofahrer unterwegs“. Und das machte Spaß, obwohl es mitunter zum Abenteuer werden konnte. Wenn man etwa mit stinkenden Bremsen, rauchender Kupplung und zischendem Kühlwasser am Straßenrand anhalten musste.
Papa war kein geübter Bergfahrer und der Weg in die Alpen führte über schmale, kurvige Straßen und steile Pässe. Da hatte die Wirkung der Nautisan-Tabletten gegen Übelkeit nach so vielen Serpentinen schon nachgelassen. Egal, das alles sieht man heute auf den Fotos nicht mehr, auf denen die Familie stolz vor mächtiger Bergkulisse posiert.
Die Großglocknerstraße, die heuer vor 79 Jahren eröffnet wurde, Österreichs höchsten Berg erschließt und Salzburg mit Kärnten verbindet, war ein besonderes Highlight. Ein Spaziergang am Rand der Pasterze – der erste leibhaftige Gletscher, den man zu Gesicht bekam, die Verheißung auf die Sichtung von Murmeltieren und Edelweiß. Die dann eh nicht zu sehen waren. Das machte aber nix. Schließlich ging es in erster Linie darum, einmal dort gewesen zu sein.
Das war auch bei einer Fahrt über den Brenner so. Das erste Mal in Italien, aber irgendwie doch wieder nicht. Alle dort konnten Deutsch und in den Lokalen in Grenznähe gab es eher Südtiroler Spezialitäten als die ersehnten Spaghetti.
Allzu oft war der Besuch im Gasthaus bei derartigen Urlauben und Ausflügen aber ohnehin nicht drin. Das Essen wurde gern selbst mitgenommen: In den großen silbernen Proviantdosen mit Luftlöchern in den Ecken, die gemeinsam mit Picknickbesteck und akkurat gebügelten Stoffservietten eingepackt wurden. Dauerwurst gehörte dazu. Und wenn das Geldbörsel besonders locker saß, gab es Krakauer oder Kantwurst. Dazu einen Wecken Mischbrot vom Anker, daheim schon vorgeschnitten. Im Wirtshaus gab es dann bestenfalls Limonade – Frucade oder Libella – und für die Eltern ein Bier.
Wenn fotografiert wurde, dann war die Ausbeute an Bildern oft Glückssache: Die Fotos anfangs schwarz-weiß, später in Farbe. Oft unscharf, mitunter verwackelt oder mit eigenwilligen Ausschnitten. Wenn es nicht gar gelang, einen Film zwei Mal zu belichten. Umso stolzer war man auf die gelungenen Schnappschüsse. Die Besten haben Daniela Horvath und Michael Martinek für das Buch zusammengetragen.