Leben

Zeit des Erwachens

Eines vorweg: Der Osterhase ist kein Kaninchen. Auch wenn die Amerikaner ihn „Bunny“ nennen. Und die Schokoosterhasen- und Kuscheltierindustrie uns das einreden will, weil das Kaninchen halt süßer aussieht. Runder. Knuddeliger. Aber der Osterhase ist ein schneidiger, unglaublich schneller Einzelgänger, ein Feldhase, kein gemütlicher, in Rudeln vor sich hingrasender Hoppelhopp. Auch wenn sie zur gleichen Familie gehören: Feldhase und Kaninchen haben nichts miteinander zu tun, völlig unterschiedliche Interessen und Lebenspläne – und können sich untereinander auch nicht fortpflanzen.

"Es war wohl seine, sagen wir einmal, sehr „fruchtbare“ Art, die den Hasen schon vor Jahrtausenden mit diversen Frühlingsfesten in Verbindung brachte."

Apropos: Es war wohl seine, sagen wir einmal, sehr „fruchtbare“ Art, die den Hasen schon vor Jahrtausenden mit diversen Frühlingsfesten in Verbindung brachte. Die Welt erwacht endgültig aus dem Winterschlaf, es sprießt und blüht überall, eine Wiedergeburt der Natur. Auf die unsere Vorvorderen gehofft, die sie allerdings noch nicht als selbstverständlich erachtet hatten. Perser und Römer setzten überhaupt gleich den Jahresbeginn im März an, das iranische Nouruz-Fest gibt es seit etwa 3.000 Jahren, seit 2010 ist es auch von der Generalversammlung der Vereinten Nationen offiziell anerkannt.

Vor allem in unseren Breiten ist der Hase einer der auffälligsten Protagonisten dieser frühlingshaften Zeit des Erwachens. Die sonst scheuen Einzelgänger kommen auf den Feldern zusammen und führen ihre wilden „Hasentänze“ auf – ein Balz-Ritual, in dem die Männchen den Stärksten in ihrer Runde ermitteln. Etwa zur gleichen Zeit legen unauffällige Kiebitze ihre gesprenkelten Eier in die flachen Erdmulden der Felder. Wer hat also die Eier in den Nestchen gebracht, die zu Ostern zu finden waren? Eben.

So schrieb der angehende Heidelberger Arzt Johannes Richier in seiner Dissertation des Jahres 1682, dass man in etlichen ländlichen Gegenden, aber auch einigen Städten, „den Simpeln und Kindern“ weismache, der Osterhase bringe ihnen bunte Eier. Während allerdings das Ei im Christentum praktisch uneingeschränkt als österliches Symbol akzeptiert wurde – die Hülle wie ein verschlossenes Grab, in dem doch Leben entsteht –, hatte der Feldhase mit einigem Gegenwind zu kämpfen, bevor aus ihm DER Osterhase wurde. Zum einen war manchen Kirchenmännern seine eingangs erwähnte, beinahe überbordende reproduktive Aktivität ein Dorn im Auge. So verbot Papst Zacharias im 8. Jh. sogar der Verzehr von Hasenbraten, weil er „Sitten und Moral“ gefährde. Zum anderen war der Hase in der breiten Bevölkerung zwar beliebt – hatte aber durchaus mit tierischer Konkurrenz zu kämpfen, was seine österliche Rolle anbelangt. In der Schweiz war es lange Zeit der Kuckuck, der die Eier brachte, in Bayern und Salzburg der Osterhahn, in Thüringen der Storch, in Hessen der Esel, in Tirol, ganz pragmatisch, die Henne, in Italien die Taube, der Kranich und das Lamm – und in weiten Gebieten Deutschlands bis Mitte des 20. Jahrhunderts sogar der Fuchs.


Warum sich ausgerechnet der Hase durchgesetzt hat, weiß niemand so ganz genau. Vielleicht ja, weil er in Schokoform oder als Kuscheltier einfach am süßesten aussieht. Auch wenn er kein Kaninchen ist.