Leben

Kleine Sommerserie 2014: Dichten in Wien (1)

Willkommen in der kleinen Sommerserie. – Wo schreiben Sie? Weil mir diese Frage immer wieder gestellt wird, gebe ich jetzt vier Antworten. Wo schreiben Sie? Erstens: Draußen, am allerliebsten. H.C. Artmann besingt „ein goldnes klavierpedal / das bis gaaden reicht im / oft besungnen wienerwald“. Ich schreibe im Wienerwald. Wenn wir schon bei Artmann sind, und wir müssen natürlich lange bei ihm bleiben, wenn wir über Dichtung in Wien sprechen: „Es gibt einen Satz, der unangreifbar ist, nämlich der, daß man Dichter sein kann, ohne auch irgendjemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben.“ Das ist die einleitende Sentenz zu seiner „Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes“. Und für uns bedeutet er: Wir müssen gar nicht unbedingt schreiben. Wir müssen nur dichten. Wir gehen also in den „oft besungnen wienerwald“, vielleicht auf die Eiserne Hand hinauf, wo sich nahe dem alten Waldfriedhof letzte Weingärten an die krautige Kuppe des Kahlenberges schmiegen. Da setzen wir uns an den Rain, Kohlweißlinge fliegen vorbei, wir sind gut angezogen – das Gewand der Poesie – und haben einen kleinen Block mitgebracht sowie einen Stift, was wir benützen oder auch nicht, Artmann sagt ja, es muss nicht sein. Wir beschatten unsere Augen und schicken unsere Blicke wie Jagdhunde ins Zwielicht der unter uns liegenden Wildgrube, oder noch weiter, über die Hügel, in die große Stadt. Die Jagdhunde kommen zurück und bringen die Beute: Es sind Bilder. Es klingt nicht so, aber was wir gerade machen, ist Arbeit. Harte Arbeit: Verinnerlichung, Fokussierung, (Ver-)Dichtung. Wir sind fertig. Wir haben frei. Wenn wir Block und Stift überhaupt herausgezogen hatten, stecken wir sie nun wieder ein. Wir gehen, es liegt nahe, zum Heurigen. Vielleicht streben wir die Buschen am Anfang der Wildgrube an, vielleicht kehren wir beim Sirbu oben am Grat ein, oder, meine Lieblingsoption: Wir besuchen den Hirt, der am Weg hinunter ins Kahlenbergerdorf liegt. Haben wir etwas geschrieben, dann schauen wir es jetzt noch einmal an, derweil der Gspritzte Blaserln wirft. Haben wir nichts geschrieben, dann reift sie dennoch in uns, die Dichtung.