Leben

Kratzl im Heumarkt

Eine Woche ist es her, da traf ich den Dichter und Menschendarsteller Karl Ferdinand Kratzl im Café Heumarkt. Kratzl, den ich seit 25 Jahren kenne und liebhabe, befragte mich, weil er etwas über mich schreiben wollte. Wenn ich ihn treffe, überschwappt mich stets ein Gefühl kindlicher Freude über diesen exzeptionellen Menschen. Kratzl trank seinen Kaffee und stellte mir Fragen wie: Was hat du als Bub gefrühstückt? Verdammt, was für eine Frage! Selbst mit der Liebsten hab ich dieses Thema noch nie so unmittelbar besprochen – wir sind eher auf jahrzehntelangen Plauderpfaden am Thema des kindlichen Frühstückens vorbeigekommen. Aber Kratzl, er sprach die Sache direkt an, im hochgebildeten Ton des Privatgelehrten: Was pflegtest du als Bub zu frühstücken? Meine Ohren erröteten vor Freude und Eifer, als ich von den Semmeln berichtete, die ich weiland aufgeschnitten hatte, um ihr wolliges Inneres hervorzuholen, zu Kugerln zu rollen und mir dann in den Mund zu schieben. Ich wusste plötzlich mehr über mich, obwohl doch mein Gegenüber etwas hatte wissen wollen. Das ist das Wesen eines gelungenen Gesprächs. Die anderen Menschen im Heumarkt, außer uns etwa sieben, versanken im Dunst des Unerheblichen. Letztes Tageslicht hing beharrlich an den kahlen Stadtparkbaumkronen, obwohl es bald sechs war. Karl Ferdinand Kratzl erlebte ich erstmals 1990 auf einer Kabarettbühne, ich staunte, wie gut mir das gefiel, das Unerhörte, das er dort aufführte. Als Kabarettphobiker hatte ich damit nicht gerechnet. Erst viel später begriff ich, dass Kratzl gar kein Kabarett gemacht hatte, sondern vielmehr Menschendarstellung und Seelenillumination, über die das Publikum sicherheitshalber gelacht hatte. Ich glaube, dass Kratzl zu den Künstlern gehört, die die Welt durch ihre schiere Existenz verbessern, ganz im Sinne von H.C. Artmanns poetischem Act. Nunmehr warf Kratzl seine Stirn in die tsunamiförmigen Falten, die nur er hervorbringen kann, und ging zur nächsten Frage über: Welche Tiere befanden sich in deinen Terrarien? – Da reifte in mir ein Entschluss: Wenn du über mich schreibst, Karl, dann schreib ich über dich.