Kaffeesudlesen
Von Ernst Molden
Nachdem ich der Redaktion fünf Jahre lang beizubringen versucht habe, dass ich nichts so hasse, wie zu irgendwelchen Feieranlässen Rückblick zu halten, bittet man mich zum 25. Jubiläum in die Zukunft zu schauen. Das ist ja noch viel ärger! Das total Gegenwärtige, dem ich mich verschrieben habe, ohne genau zu wissen wann, verbietet mir auch die Kaffeesudleserei. Ich kann allerdings eines tun, ausnahmsweise: Ich kann zurückblicken in eine Zeit, als ich noch in die Zukunft blickte. Das war, sagen wir, vor 25 Jahren. Damals war ich Anfang 20, ein eher depperter junger Mann, der vom Schreiben lebte, Lokalreportagen hauptsächlich, für eine Tageszeitung. Ich träumte davon, Künstler zu sein, hatte aber kein Werk. Als depperter junger Mann imaginiert man ja nicht die Welt, wenn man in die Zukunft schaut. Man konzentriert sich vielmehr ganz auf sich selbst. Ich saß also geschniegelt in Kaffeehäusern herum und betrachtete im Narrenkastel mein eigenes zukünftiges Bild. Ich stellte mir vor, wie ich einmal sein würde: Vor allem wäre ich gern schon alt geworden. Ich war mir selbst viel zu jung. Die Künstler, die ich bewunderte, waren alle alt, weltgewandt, hochkultiviert und strahlten massive Geheimnisfülle aus. Das fehlte mir total, in meiner irgendwie nackten Jugend. Die Zeitung, für die ich schrieb, stellte mich schließlich an, als Redakteur. Das brachte mich dem Künstlerdasein nicht wirklich näher, löste existenziell aber allerhand. Und nur drei Wochen später rief der Gründer und Chefredakteur des von Ihnen gerade gelesenen Magazins an, und wollte mich ebenfalls an Bord holen. Verdammt! Ein neues, kulturaffines und vor Lebensstil berstendes Wochenmagazin! Das wäre es gewesen. Aber ich konnte nicht. Ich wäre mir meiner alten Zeitung gegenüber schäbig vorgekommen. So blieb ich Reporter, wurde später Theaterautor, und irgendwann überhaupt freier Dichter, eher zufällig, wie eine Art Hans im Glück, der am Schluss strahlend seinen wertlosen Mühlstein umarmt. Und heute? Heute schreibe ich erst für die freizeit. Und bin total glücklich, mit der Arbeit und im Leben. Auch wenn das, was ich jetzt bin, nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun hat, was ich mir seinerzeit vorgestellt habe. Drum habe ich ja aufgehört mit der Kaffeesudleserei, diesem Blödsinn.