Zeit zwischen den Jahren
Von Ernst Molden
Hier kommt der Nachtrag aus der Zeit zwischen den Jahren. Aus der unwinterlichen Vorweihnachtszeit entflohen meine Familie und ich zu Weihnachten nach Triest – wenn hier schon schnee- und kältetechnisch nichts weiterging, wollten wir gleich ans Meer. Es fuhren die Liebste, die Brut und ich sowie meine Mutter, mein Bruder, dessen Liebste, die Schwester meiner Liebsten und eine beste Familienfreundin. Wir bezogen ein altes steinernes Haus, und es war total winterlich im mediterranen Sinn, Joseph-Roth-mäßig. Die ersten beiden Tage waberte dichter Bodennebel vor den hölzernen Jalousien und ließ den Efeu weinen. Drinnen flackerten Kerzen, und der Braten meiner Liebsten diente als Gottesbeweis. Am dritten Tag knallte eine gleißende Sonne über dem Golf, die Sippe begab sich nach Miramar und holte sich rote Backerln. Am vierten Tag begann es zu regnen und wir fuhren mit den Schiff nach Muggia, Muscheln à la Karst essen. Am fünften Tag machten wir die Automobile klar zur Rückreise, ein kalter, heiserer Wind hatte zu fauchen begonnen. Ich brockte drei Zweigerln Triestiner Efeu von der verwitterten Mauer unseres Hauses, und wir fuhren. Spätestens auf den slowenischen Bergen begriffen wir, dass das hier jetzt der Winter war: Schnee überall, auch auf der Autobahn, Sturm, der den Leichenwagen schaukeln machte wie ein Schiff, und strenger Frost. Wir krochen durch Slowenien, an Graz vorbei, und schließlich wie erfrorene Schnecken über den Wechsel. Dann Wien: Mein Lebensort, noch bei unserer Abreise ein ewiges Ende-Oktober-Standbild, hatte sich in eine russische Stadt verwandelt. Erdberg lag da wie bei Tolstoi. Der Blizzard fegte über den Joe-Zawinul-Park. Wer bei der Petrusgasse den Fußgänger-Ampel-Knopf drückte, drohte festzufrieren. Daheim tranken wir den mitgebrachten Friulianer Roten auf die Beendigung unseres Heizverbotes und schürten den Kamin ein. Hamster Strizzi Molden erwachte aus einem zwischenzeitlichen Winterschlaf. Und die Triebe des Triestiner Efeus stehen nunmehr im Wasserglas, bereit, Erdberger Wurzeln zu schlagen, und das alte Traumreich des Joseph Roth wieder zu verbinden.