The Sound of 74A
Von Ernst Molden
Da, wo ich grad herkomme, da erheben sich die Berge des Westens. Da waren wir jetzt auf Ferien, Liebste, Brut, ich. Dort braucht der Mensch ein paar Tage, um sich an die neuen Geräusche zu gewöhnen. Da ist das Bacherl. Bei Tage nimmt man es allerhöchstens als beiläufiges Murmeln wahr, als bescheidene, aber omnipräsente Ebene im Konzert der wunderschönen Landschaft, so allgegenwärtig wie unauffällig, ähnlich dem Keyboard im späten Austropop. In der glasklaren alpinen Nacht aber ist das Bacherl plötzlich ganz deutlich zu hören, ein ernster Monolog, wie die Worte eines biblischen Propheten. Manchmal gesellt sich noch ein Kauz dazu, manchmal das Stierln des Windes im Espenlaub am Zaun. In der Hauptsache aber ist es immer das Bacherl. Irgendwann stellt sich das Ohr darauf ein, von Nacht zu Nacht wird das Bacherl mehr zum Urgrund aller Weltgeräusche, man schläft besser und besser. Doch jetzt muss man auch schon wieder fahren, die Zeit ist um. Man war auf einer Unterinntaler Alm und in den samtigen Wassern dreier Unterinntaler Seen, man hat DKT gespielt, und das schlafende Hirn hat mit dem Bacherl Freundschaft geschlossen, derweil. Doch jetzt, jetzt ist man wieder da. Zaus. Erdberg, unsere Burg. Nachbarin H. bringt uns einen Strauß seidenzuckerlgelber Rosen vorbei. Okay, die Pfeifenputzerpflanze auf dem Balkon ist vertrocknet, aber sonst scheint alles im Lot. Des Reisetages müde gehen wir ins Bett, es ist kurz nach Mitternacht. Das Stadtlicht ist bereits gedimmt. Einer der Momente, in denen die Landstraßer Haupt verstummt. Und doch: Die Liebste und ich liegen mit schillingweit aufgerissenen Augen im Bett, weil etwas nicht stimmt. Eh klar, das Bacherl, es ist weg, außer jeglicher akustischer Reichweite, irgendwo weit im Westen. Aber dann! Dann erlöst uns unser Bezirk mit seinem ureigenen Sound: Langsam brandet er an, eh fast wie ein Bacherl, ohne Aggression, aber doch unaufhaltsam. Er wird zum Fluss, der Sound, und noch größer, er wird zu einer seelenruhigen Mure, wenn es so etwas gibt. Genau vor unserem Haus verhält er, leise murrend jetzt wie der Drache Smaug. 74A, du Bacherl unserer Heimat – du hast uns erlöst, wir dürfen schlafen.