Dead Willow Tree
Von Ernst Molden
Es war Ende Jänner, als der in dieser Kolumne schon öfters erwähnte Zither-Gott Karl Stirner mit mir in der Bierinsel im Prater ein Konzert spielte. Wir fuhren hin, stellten unsere Verstärker auf und begaben uns, weil noch Zeit war, auf einen Spaziergang in die rasant vorwärtsschreitende Abenddämmerung. Ich zeigte dem Stirner mein zu jener Zeit noch verwaistes Sommerbüro am Lusthauswasser, den Platz unter einer ausladenden Weide, wo ich Lieder schreibe. Am Rückweg zum Wirtshaus wies ich auf diese turmhohe Schwarzpappel im Wald, um die die Pratergärtner bereits einen Sicherheitszaun errichtet hatten, weil schon ein paar Äste heruntergekracht waren. Ich sagte dem Stirner: „Die haut’s bald um. Da möcht ich nicht in der Nähe sein.“ Wir spielten dann nach Kräften, aßen Knödel mit Saft und verließen den Prater wieder. Erst vier Wochen später, Ende Februar, kehrte ich zurück – weil es so mild war, hatte ich beschlossen, das Sommerbüro einzuweihen. Ich ritt am Patagonia-Radl, auf dem Rücken trug ich die Soprano-Ukulele. Die Lusthauswiese war gatschig, im Wald wurde es trockener. Die Riesenpappel stand noch immer da, schwarz und von urzeitlicher Dimension, mit einer leicht höhnischen Ausstrahlung, keinen Zweifel daran lassend, dass sie selbst den Zeitpunkt ihres Umsturzes bestimmen würde. Mit verhaltener Bewunderung radelte ich vorbei, kam auf den Uferweg, fuhr bis zu meiner Weide. Meine Weide war, Überraschung, hingegen kaputt. Irrationalerweise war sie der Pappel vorausgestorben, hatte irgendeinem Spätwintersturm nicht standgehalten. Gut, die Biber hatten unten ein bissl genagt, die Misteln weiter oben auch ein bissl. Und jetzt war die Weide gespalten. Der größere Teil des Stamms war umgebrochen, hing nur noch an einem unter enormer Spannung gebogenen Holzstück am dünneren, stehengebliebenen Teil. Ich berührte diesen Bogen und ein Zittern ging durch das tödlich verwundete Holz. Irgendwann würde das auch noch brechen, und dann würde hier alles durch die Luft fliegen. Mit der Umsicht des alternden Mannes schob ich mein Rad von dannen, folgte dem Uferpfad, bis ich mein neues Sommerbüro gefunden hatte. Amseln riefen im Gebüsch, Enten keiften im Schilf.