Leben

Dead Grinzing

Mein Freund und Musikantenkollege Nino und ich brauchten ein gemeinsames Foto. Da rief ich den Fotokünstler Ronnie Niedermeyer, an, und siehe: Er hatte Zeit und erschien mit einem entzückenden Praktikanten. Zu viert fuhren wir nach Döbling, in den Sieveringer Steinbruch, eine Gitarre und eine zerfetzte österreichische Flagge im Gepäck. Den Sieveringer Steinbruch schätze ich seit meiner Adoleszenz. Als adoleszenter Döblinger rauchte man weiland das erste Hanfkraut entweder im Strauß-Lanner-Park oder eben in diesem Steinbruch. Stand man dann unter Einfluss des Hanfes, konnte man im Park am Bankerl sitzen bleiben, bis der Einfluss wieder schwand, während man im Steinbruch gern irgendwo runterfiel. Aber zu meiner Zeit, vor gut dreißig Jahren, passierte nie etwas Ernsthaftes. Diesmal wehte winterlicher Wind. Der Nino und ich trugen das falsche Schuhwerk, was den Fotokünstler Niedermeyer nicht davon abhielt, uns eine steile Schotterrinne hinaufzuschicken. Wir taumelten bergwärts, der eine die Flagge, der andere das Musikinstrument in der Hand, der Fotokünstler drückte ein ums andere Mal ab. Dann waren wir fertig und wollten etwas essen, aber ach, es war Dienstag. Die Wienerwaldwirtshäuser meines Herzens, das am Stoan, jenes am Roan sowie das am Himmel hatten allesamt zu. So fuhren wie daune nach Grinzing, aber das war fast noch schlimmer. Diese ikonografische Stätte österreichischen Weinrauschs, von den Chinesen zur Gänze kopiert und hinter Peking wieder aufgestellt, sie war wie tot! Wir rüttelten an zahllosen Rundtoren, die darüberhängenden Föhrenbuschen schwankten leicht, aber man ließ uns nicht ein. Die Heurigen: alle zu. Das Grinzinger Bräu: Ruhetag. Selbst die Pizzeria Nino, ja wirklich, hatte geschlossen. Endlich fanden wir den Rudolfshof, den Ort der Erlösung. Im Innenraum der Gaststube stellte man unschwer assoziative Verbindungen zum suizidären Thronfolger her, aber das Essen war gut. Langsam gewöhnten wir uns an die weltverlorene Stimmung. Weil die Arbeit ja getan war, tranken wir Gespritzte, und mir fiel das Lied der Nagl-Maly ein: „I waaß ned, is Grinzing denn wirklich so scheen, i hob Grinzing no nie oisa Niachtana gsehn“.