Alice im Taborland
Von Ernst Molden
Jetzt muß ich ein bisserl ausholen. Wenn man drei Kinder zeugt und dann vor dem sich selbst immer wieder zuscheissenden Augiasstall ihrer Aufzucht steht, dann versinken ganze Landschaften des vorelterlichen Lebens im Unterbewußtsein. Alice hatte einst eine Buchhandlung im ersten Bezirk, das war meine liebste Buchhandlung,, weil sie sich von anderen, bierernsten Buchhandlungen des Ersten so wohltuend unterschied. Im „Tiempo“, Ecke Hegel-Johannes, konnte man superen Wein trinken, bisweilen verliebt-versalzene Nudeln essen und in den Genusspausen Bücher gustieren. Ich glaube, dass man Bücher in guter Stimmung kaufen sollte. Fröhlich, das Leben liebend, ohne das steile Stirnfalterl des Verdrusses. Vor und um die Jahrtausendwende war ich oft im alten Tiempo, liess mich laben und dann von den Damen zum rechten Buch inspirieren. Dann kriegte ich die Brut, in solchen Zeiten liest man wenig. Während ich ächzend die Buggies durch den Stadtpark schob, traf ich Alice manchmal, die jetzt einen Hund hatte. Und nun diese Einladung: In Alicens neue Buchhandlung, die sie eh erst seit sieben Jahren hat, wie ich schaudernd erfuhr. Ich begab mich ins mondäne erste Stückerl der Tabor, schräg gegenüber vom ehrwürdigen Hotel Stefanie kam ich an. Ich trat mit Verstärker und Gitarre ein und der Mund klappte auf, meinen reparierten Vorderzahn entblössend. Das war genau so schön wie einst im versunkenen Jahrhundert. Aber noch größer. Weniger tunnelartig, dafür heller. Noch immer mit Wein. Und weder die Alice noch ihrer leiwande Mitstreiterin, die Frau Andrea aus Kärnten, hatten sich irgendwie verändert. Ich las und sang und trank zweieinhalb Gespritze, ein halber fiel mir zu Boden, das war mir auch im alten „Tiempo“ schon öfters passiert. Und wissen Sie, was das schönste war: Am Ende des Abends versicherten mir die Damen, das sei wie in alten Zeiten gewesen, aber eigentlich besser. Das sind die güldenen Momente! Wenn das Leben wie in alten Zeiten ist, aber eigentlich besser.