Seilers Gehen: Beim Anblick dieses Ensembles verschwindet jeder Ärger
Von Christian Seiler
Ich gehe von der Volksoper stadteinwärts. Im Grand Café am Alsergrund – was für ein schöner Name! Dahinter verbirgt sich trotz des im Logo versteckten Gründungsjahrs 1905 aber kein Plüsch, sondern ein buntes Café mit Fifties-Einrichtung und freundlichem Personal – nehme ich einen Mokka, schon allein, weil es so schön ist, dass die Cafés wieder offen haben.
Später gehe ich die Lustkandlgasse entlang, vorbei am Café Inkognito. Das wiederum war einmal eines jener Etablissements, von denen man sagt, wenn man sich an sie erinnern kann, war man nie dort. Klingelt etwas? Natürlich nicht. Außerdem ist es gerade Nachmittag und nicht mitten in der Nacht, wenn die Sperrstunde weite Teile der Stadt schon abgedunkelt hat.
Die Fuchsthallergasse hinunter, schon bin ich an der Kreuzung von Nussdorfer Straße und Alserbachstraße, wo sich in prominenter Lage die „Markthalle Nußdorf“ erhebt. Ich bleibe stehen, betrachte das 1879 gebaute, noch immer prächtige Gebäude, über dessen Portal in Stadtbahn-Schrift „Detail-Markthalle“ geschrieben steht, auch wenn der Inhalt ein gut sortierter Interspar ist.
Apropos Markthallen
Beim Betrachten des im Verkehrszwickel liegenden Ensembles fällt mir ein, dass ja gerade viel über Markthallen gesprochen wird, vor allem in Zusammenhang mit dem Flohmarktareal hinter dem Naschmarkt, und ich denke mir, dass es vielleicht klüger gewesen wäre, die historischen Markthallen Wiens wie diese hier (oder auch jene in Wien Mitte) nicht zu ruinieren, sondern zu vitalisieren, dann hätten die zuständigen Behörden auch keinen Bedarf an neuen Markthallen, sondern könnten in den alten bei engagierten, regionalen Herstellern einkaufen. Nur so eine Idee. Leuchtet natürlich niemandem ein, der in Wien einen Borough-Market nach Londoner Vorbild haben möchte, wie zum Beispiel die zuständige Stadträtin.
Also gehe ich die Alserbachstraße entlang, überquere die Liechtensteinstraße, gehe am Schubert Brunnen vorbei – und notiere mir die Idee, ein anderes Mal auf Schuberttour quer durch die Stadt zu gehen. Weil es jetzt doch sehr warm und die Alserbachstraße sehr belebt ist, biege ich durch eine kleine Pforte hinter einem wuchtigen Repräsentationsbau ins Grüne ab: Zwischen dicht bebauten Häuserblöcken faltet sich hier majestätisch der Liechtensteinpark auf.
Würdig am Wasser
Aus kreisenden Düsen wird der Rasen bewässert – sowie einige Kinder in Badehose. Ich gehe hinüber zum kleinen Teich in der Mitte des Parks und setze mich in den Schatten, um das Haus zu betrachten, das mir von der Straßenseite aus klobig und abweisend erschien. Auf der Parkseite offenbart es die ganze Schönheit, die der Architekt Heinrich von Ferstel darauf verwendete, der Witwe des Fürsten zu Liechtenstein ein würdiges Gartenpalais zu gestalten (dass dafür das Belvedere Fischer von Erlachs weichen musste, ist nur eine Fußnote).
Ich sitze am Wasser, betrachte Franz Zauners „Nereide mit Kind“ in der Mitte des Teichs und genieße den Schatten. Wien verzaubert. An jeder Straßenecke ein Ärgernis. Aber hinter jeder Mauer zwei Wunder.