Leben

Ulrich Reinthaller über den Dialog

freizeit: Herr Reinthaller, Sie beschäftigen sich eindringlich mit dem Dialog. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?

Reinthaller: Seit Kindertagen leide ich darunter, wie viel die Menschen sprechen und wie wenig sie zuhören. Es geht alles zu schnell. Im Fernsehen und im Internet, aber auch in normalen Gesprächen herrscht enormes Tempo. Da ist kein Innehalten mehr. Das verhindert, dass man sich selbst ein Feedback geben kann. Was läuft in mir ab? Was habe ich gerade gesagt? Diese Fragen bleiben fast immer ungestellt.

Es darf also auch geschwiegen werden?

Schweigen ist Selbst-Wesensschau. Eine östliche Weisheit lautet: „Beobachte den Beobachter.“ Das geht nur in der Verlangsamung. In der westlichen Welt wird das leider oft mit gestohlener Zeit und Profitminderung gleichgesetzt. Wir fragen uns zu oft: ‚Was bringt mir das jetzt?‘ Ich glaube, die Zielsetzung der Menschen in unserer Gesellschaft lautet zu 80 Prozent: ‚Wie komme ich im Außen weiter?‘ Die Frage, wohin wir parallel dazu im Inneren weitergehen wollen, kommt zu kurz.

Was in einer Kapitalwirtschaft allerdings mehr als verständlich ist.

Verständlich ist das allemal. Deshalb braucht man auch den Dialog, um homöopathisch einsickern zu lassen, dass das Leben mehr ist, als hinter der Karotte von Job und Geld und Besitzwachstum herzulaufen.

Dazu haben Sie das „Dialogikum Phönixberg“ ins Leben gerufen, bei dem Sie Vordenker zum Gespräch bitten. Wir sind hier im Pielachtal in Niederösterreich, irgendwo im Nirgendwo. Sehr mutig, ein Projekt hier zu starten.

Der Bürgermeister von Rabenstein meinte: ‚Es ist schwer genug, am Land ein interessantes Programm zu finden. Aber eine reine Rede-Veranstaltung: Schlagen Sie sich das aus dem Kopf.‘ Ich weiß nicht, woher die Zahlen kamen. Aber man sagte mir, dass zur Eröffnung nicht mehr als 18 Leute kommen würden. Es waren dann mehr als 200. Ich wusste, es würde funktionieren.

Was hat Sie so sicher gemacht?

Ich spüre eine wachsende Sehnsucht der Menschen, gehört zu werden. Was ich oft bemerke: Diskussionen ermüden die Menschen, Dialoge beleben sie.

Der Begriff Dialog lässt viele Interpretationen zu. Was sehen Sie darin?

Einen Austausch der Menschen in verschiedensten Bereichen und keinen Kampf der Worte, wie es heute oft üblich ist. Logos bedeutet nicht nur Wort, sondern auch Sinn oder göttlicher Funke. Er entsteht nicht nur durchs Reden, sondern auch im Schweigen oder in der Musik. Der Dialog ist kein Rede-Wettbewerb.

Angenommen, ich absolviere bei Ihnen das Seminar " Dialogarbeit". Was lerne ich denn da?

Man sitzt im Kreis. Einer nimmt ein Sprechsymbol, zum Beispiel einen Stein. Wer ihn hat, spricht. Oder er schweigt. Niemand unterbricht. Es gibt keine großen Vorgaben, sondern lediglich sogenannte Achtsamkeiten wie „Sprich von Herzen“ oder „Warum sagst du, was du sagst?“. Und wenn geschwiegen wird, ist das keine dumpfe, sondern eine intelligente Stille, die niemandem langweilig ist. Was aus dem scheinbaren Nichts entsteht, ist wie ein schöner Ton. Auch, wenn keiner beschreiben kann, was ein schöner Ton ist.

Wie kann man dem Laien erklären, was so ein Prozess bringt?

Ein Beispiel. Heini Staudinger führt im Waldviertel ein Unternehmen mit 130 Mitarbeitern. Dort werden regelmäßig Dialogrunden mit Experten abgehalten. Das ist keine esoterische Vereinigung, sondern ein florierender Wirtschaftsbetrieb. Wo Dialog geführt wird, zeigt sich das Wunder einer geheimnisvollen Verbundenheit zwischen den Menschen – gerade, weil sich der Einzelne wirklich gehört fühlt, im Reden und im Schweigen. Das Profitdenken verleitet dazu, alles zu bewerten. Wie oft meldet sich jemand? Wie lange war er am Wort? Wer hat zu wenig gesagt? Als könne man Worte in Kilowattstunden messen.

Sie können dem Sprichwort ‚Reden ist Silber, Schweigen ist Gold‘ also etwas abgewinnen?
Schweigen und zuhören! Bei uns muss der Bundeskanzler sehr viel reden, damit klar ist, dass er der Bundeskanzler ist. In den östlichen Traditionen ist es genau umgekehrt. Wer am meisten Macht und Einfluss hat, redet am wenigsten. Führungspersonen in Japan hören vor allem zu. Um zu verstehen, worum es geht, müssen wir zuhören. Wenn wir dauernd selber reden, bekommen wir nichts mit.

Sie haben vorhin von Profit gesprochen. Sie waren als Schauspieler in der TV-Serie „Hallo, Onkel Doc“ von 1994 bis 2000 sehr erfolgreich. Warum sind Sie ausgestiegen?

Wahrscheinlich hätte ich die Rolle des Dr. Markus Kampmann bis zum heutigen Tag spielen können. Der Sender, auf dem die Serie lief, hat mir damals auch gesagt: ‚Du sitzt auf einem Pferd, das läuft. Wir wollen, dass du so lange reitest, wie das Pferd laufen kann. Bleib sitzen.‘ Das hat mich nicht überzeugt. Ich wollte nicht als schauspielender Gaultreiber enden. Das war mir zu einseitig und hat mich auch zur Philosophie gebracht.

Wie haben Sie sich philosophisch gebildet?

Indem ich viel gelesen habe. Griechische Philosophie, östliche Traditionen, die vedischen Schriften. Was sagt der Westen, wie denkt der Osten? Der Horizont erweitert sich durch die Gedanken anderer.

Welcher Gedanke hat Sie zuletzt besonders inspiriert?

Ein Interview mit dem Quantenphysiker Anton Zeilinger, der von einem Gespräch mit dem Dalai Lama erzählt hat. Zeilinger sagt ja, dass es den Zufall vielleicht doch gibt, während die östlichen Traditionen nicht an Zufall, sondern die Verkettung von Ursache und Wirkung glauben. Trotzdem meinte der Dalai Lama: ‚Herr Zeilinger, wir haben eine uralte Tradition. Aber wenn sie neue Erkenntnisse haben, sagen Sie es mir. Ich bin der Erste, der die tibetanischen Bücher umschreiben lässt.‘ Eine unglaubliche Offenheit. Er sagt nicht: ,Sie machen mir mein Weltbild kaputt‘, sondern ‚Erzählen Sie mir mehr davon.‘ Das ist Dialog.“

Was ist Dialog noch?

Eine Tugend im Dialog ist, etwas in Schwebe halten zu können, nicht zu kommentieren, zu argumentieren oder Recht haben zu wollen. Eine gute Übung ist auch, fünf Sekunden zu warten, ehe man wieder spricht.

Kann Dialogarbeit auch dabei helfen, die Kommunikation in Partnerschaften zu verbessern?

Auf Umwegen, ja. Wenn „verbessern“ heißt, wie kriege ich den anderen so weit, dass er tut, was ich möchte, nein. Der Dialog ist keine Methode, er ist nicht primär lösungs- und zielorientiert, er ist kein Werkzeug. Er ist Leben zum Staunen. Wer schon am Beginn weiß, was er erreichen will, ist beim Coaching besser aufgehoben.

Die Nützlichkeit ist also nicht auf den ersten Blick auszumachen.

Worin besteht die Nützlichkeit von Mozarts Lied „Das Veilchen“? Worin die Schönheit eines Sternenhimmels? Nützlichkeit hat mit der Größe dessen, worüber wir uns hier austauschen, nichts zu tun. Unter Umständen kommt ein Paar nach der Dialogarbeit darauf, dass es sich zwar liebt, aber dennoch auseinandergeht. Kann man das in Nützlich oder Unnützlich einteilen?

Wenn alles möglich ist, wo bleibt dann die Verlässlichkeit, die der Mensch so oft sucht?

Es gab eine Zeit, da dachte man, die Welt wäre eine Scheibe. Dass dem nicht so ist, weiß man mittlerweile. Wo bleibt denn da die Verlässlichkeit? Man kann nicht sagen: Die Erde war über Jahrtausende eine Scheibe. Wir erkennen nicht an, dass sie eine Kugel ist, weil dann die Verlässlichkeit gefährdet ist. Falls Sie mit Ihrer Frage auf Partnerschaft abzielen, muss es auch hier möglich sein, zu sagen: Wir haben viel aneinander gelernt, sind gemeinsam gewachsen. Nun haben sich die Bilder verändert. Abgesehen davon, dass man auch gemeinsam wachsen. Jetzt sag ich was ganz G’scheites und zitiere das 32. Hexagramm des I Ging: ‚Das Einzige, was von Dauer ist, ist die Veränderung.‘

Info: Das nächste Dialoggespräch mit Benediktinermönch David Steindl-Rast und Quantenphysiker Werner Pietschmann findet am 26. 9. um 19 Uhr statt. www.phoenixberg.at