Leben

TV brutal

Würden Sie sich von einem Mann, der selbst singt, als hätte er die Frösche seines Terrariums verschluckt, verhöhnen lassen, weil ihm Ihre Stimme nicht gefällt? Macht es wirklich Spaß, von einer geltungsbedürftigen Piepsmaus als hoffnungslose Versagerin gedemütigt zu werden? Was veranlasst eigentlich einen Menschen, sich der ganzen Welt als, höflich ausgedrückt, „nicht ganz sauber“ zu präsentieren? Na gut, die Teilnehmer der „Messie“-Fernsehshows kriegen zumindest eine gründlich renovierte, ordentlich durchgelüftete Wohnung.

Fakt ist jedenfalls, dass sich praktisch für jeden noch so großen Blödsinn willige Teilnehmer finden – und Zuschauer. Und dass daher kein Ende in Sicht ist, wenn's um Reality-Programme und möglichst skurrile Game-Shows geht. Im Gegenteil, gut 70 verschiedene Shows kann der geneigte Seher derzeit allein im deutschsprachigen Raum über sich ergehen lassen. Und wer glaubt, dass mit drei erbärmlichen Figuren, die bei „Frauen aus dem Osten“ landen wollen, der Talboden schon erreicht ist, irrt gewaltig. In Japan, dem Land, das uns auch schon frühe Trash-Legenden wie „Takeshi's Castle“ beschert hat, werden erfolglose Quizteilnehmer äußerst erfolgreich mit harten Stockschlägen auf den Hintern bestraft. Ein US-Kabelsender ließ schon vor Jahren illegale Einwanderer halsbrecherische Stunts absolvieren. Dem Sieger winkte die Unterstützung eines Anwalts in Sachen Aufenthaltserlaubnis.

Über enorme Einschaltquoten freut sich derzeit eine Sendung mit einem Mormonen und seinen vier Gattinnen, wobei der Protagonist ungehindert ein patriarchales Weltbild aus der Steinzeit propagiert. In einer anderen Show werden Frauen nicht nur, wie auch in unsäglichen heimischen Doku-Soaps, bei Schönheitsoperationen begleitet – nein, die Zuschauer haben per Voting die Möglichkeit, das Ergebnis auch noch zu bewerten. Die Siegerin erhält dann wohl eine weitere OP-Serie zur freien Verfügung. Grundgütiger.

Da nehmen sich die Altherrenfantasien des argentinischen TV-Urgesteins Gerardo Sofovich, der in seiner Heimat lange Zeit nur mehr durch reaktionäre politische Statements aufgefallen war, geradezu charmant aus: Mit einer Show, in der junge Frauen in möglichst kurzen Röcken Bowling spielen müssen, katapultierte er sich wieder mitten in die Herzen der Fernsehzuschauer. Zumindest der männlichen. Sie denken jetzt an ein wahres Highlight des frühen deutschen Privatfernsehens namens „Tutti Frutti“? Ja vielleicht, nur ohne den anarchischen Charme des ehemaligen Krautrockers Hugo Egon Balder. Wo sich jeder noch so schlechte Scherz aufhört, ist ein TV-Quiz, das aktuell in Pakistan für Rekordquoten sorgt: Gespielt wird um ein Adoptivkind, drei Paare treten gegeneinander an, die Sieger dürfen das Baby mit nach Hause nehmen.

Als vor 20 Jahren die ersten Low-Budget-Reality-Shows Einzug in den Fernsehalltag hielten, sagten etliche Experten dem anfänglichen Boom ein schnelles Ende voraus. Wie lange kann es die Zuschauer schon interessieren, Allerweltstypen beim Nasenbohren zu beobachten? Eine Frage, die natürlich auch die Fernsehmacher beschäftigte. Denn sie hatten ein Produkt gefunden, das billiger zu produzieren war als alles bisher dagewesene. Ihre Antwort: Immer noch eins drauf, immer noch einen Schritt weitergehen. Heute bringt sie das in direkte Konkurrenz zum Internet – an dem sie sich mittlerweile bedingungslos zu orientieren scheinen. Ohne zu bedenken, dass das Internet immer schneller, frecher unangepasster, aber auch brutaler und geschmackloser sein kann. Und darf. Denn im Gegensatz zum uferlosen World Wide Web, in dem Privatpersonen ihre kruden oder klugen, witzigen oder obszönen Meinungen und Aktionen veröffentlichen, haben die TV-Stationen noch immer eine wesentlich größere Verantwortung. Stichwort Medienethik.

Die stellte vor ein paar Jahren eine Gruppe holländischer Künstler nur scheinbar auf eine besonders harte Probe. In der Tradition des „Milgram Experiments“ der 1960er-Jahre wurde für eine Quizshow eine „Laien-Jury“ gesucht, die den Teilnehmern nach jeder falschen Antwort einen Stromschlag verabreichen sollte. Je höher der Geldbetrag, um den es ging, desto mehr Volt setzte es. Die Scharfrichter von nebenan gingen unglaublich skrupellos vor, die Kandidaten wanden sich und schrien vor Schmerzen, das Publikum war schockiert – und begeistert. Erst nach der Show gaben die Veranstalter bekannt, dass kein Strom geflossen war und es sich bei den Kandidaten um Schauspieler gehandelt hatte.

Für die Macher der Sendung besonders erschreckend war allerdings, wie leicht sie Menschen fanden, die bereit waren bei der Show mitzumachen und den Stromhebel umzulegen. Würden Sie ... ?