Leben

Bauch, Bein, Po im Zoo

Komm her, Mäuschen“, sagt die schlanke Frau neben mir, und knapp zwei Tonnen Lebendgewicht setzen sich beschwingt und freudig in Bewegung. Bei uns angekommen, streckt das Panzernashorn seinen gewaltigen Kopf zwischen die mannshohen Säulen, die uns von ihm trennen. Eveline Dungl, Cheftiertrainerin des Wiener Zoos, tätschelt ihm die Nase. „Brave Maus.“
Nein, wir sind tatsächlich nicht im Zirkus, sondern im Zoo, und das Tiertraining hat auch nichts mit einer zusätzlichen Attraktion für die Besucher zu tun. Im Gegenteil, es wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt, Trainer und Tiere müssen hochkonzentriert zu Werke gehen. Zuschauer würden da nur ablenken. Für freizeit-Fotograf Gerhard Deutsch und mich wurde eine Ausnahme gemacht.
Aber wozu das Ganze? Widerspricht das nicht dem Credo, möglichst nahe an der Wildnis zu sein, dem sich die meisten Zoos in den letzten Jahrzehnten – auch mit großen Investitionen – verschrieben haben? „Natürlich versuchen wir, die Tiere so artgerecht wie möglich zu halten“, sagt Eveline Dungl, selbst studierte Zoologin.

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Aber auch mit möglichst weitläufigen Gehegen, Suhlen, Kratz- und Kletterbäumen, Teichen und allem, was ein moderner Zoo heute bietet, können wir ja nicht so tun, als gäbe es KEINE Interaktion zwischen Tier und Mensch. Die ist ohnehin Bestandteil des täglichen Lebens im Zoo.“ Allein die Tausenden Besucher, ohne die kein Zoo überleben könnte, stellen einen nicht zu unterschätzenden Einflussfaktor dar. Denn auch wenn es uns nicht bewusst ist – natürlich registrieren sehr viele der Tiere die merkwürdigen zweibeinigen Gestalten, die sich vor Gehegen und Glasscheiben drängen und sie anglotzen. Manche beobachten uns auch. Vladimir, der Orang-Utan, den wir später noch besuchen werden, kann gut zwischen Kindern, Frauen und Männern unterscheiden. Männer mag er nicht besonders.


Und dann sind da natürlich die Pfleger, die täglich mit den ihnen anvertrauten Tieren kommunizieren. Nicht nur bei den Fütterungen. Gehege müssen geputzt werden, wofür man nicht nur die offensichtlich gefährlichen Raubkatzen in andere, absperrbare Arreale umleiten muss. Und wo die Natur nicht für Abnutzung und Auslese sorgt, obliegt es dem Menschen, Hufe und Krallen zu schneiden oder kleinere und größere Wehwehchen zu kurieren. Für praktisch alle tierärztlichen Untersuchungen und Eingriffe mussten die Tiere früher narkotisiert werden. Und das bedeutet Stress – und ein nicht zu unterschätzendes gesundheitliches Risiko für die meisten von ihnen. Sundari, das Nashornweibchen, macht direkt neben den Absperr-Säulen Platz und kriegt dafür ein Leckerli. Ein kleines Stückchen Paprika, das das riesige Tier zufrieden verzehrt. Das Tier ist nicht hungrig, es gibt auch nichts zu fressen, was es nicht ohnehin täglich bekommt. Es geht nur um die positive Verstärkung.

Bei diesem Training gibt es keine Strafen. Nie. Erwünschtes Verhalten wird belohnt, unerwünschtes konsequent ignoriert

Und die muss nicht einmal immer etwas zu beißen sein. Nashorn-Dame Sundari mag es zum Beispiel besonders, wenn man ihr ins Nasenloch bläst oder die Zunge tätschelt. „Aber nicht von jedem“, sagt Tiertrainerin Dungl rasch, wie um uns vor einer Dummheit abzuhalten. „Das dürfen nur Menschen, die sie kennt und denen sie vertraut.“ Alles klar, wir können uns beherrschen.
Mit Zirkus hat keines dieser erstaunlichen „Kunststücke“ etwas zu tun – es sind Routineübungen, die es im Bedarfsfall einem Tierarzt ermöglichen, Injektionen zu verabreichen, die Temperatur zu messen oder das Tier abzutasten. Eveline Dungl simuliert die Handgriffe eines Arztes um Sundari daran zu gewöhnen, inspiziert Ohren, Hufe, Gebiss. „Braaaves Mäuschen.“ Zum Abschluss zeigt sie uns noch ihren besten Trick. Die Trainerin wirft einen Oversize-Kauknochen aus Holz, Sundari stürmt los, packt das Trumm und kommt, freudestrahlend hätte ich jetzt beinahe geschrieben, aber das kann natürlich nicht sein, zu uns zurück. Für welche medizinische Untersuchung hat sie das gelernt? „Nein, das Apportieren hat keinen untersuchungstechnischen Grund“, sagt Eveline Dungl und lacht. „Es macht ihr einfach Spaß!“
Auch das ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt des Trainingsprogrammes: „Enrichment“ oder „Bereicherung“, wie das Aufpeppen des Zooalltags in der Fachsprache genannt wird. Zwar sind die Gehege geräumig genug, das Futter wird so platziert, dass die Tiere etwas leisten müssen, um ranzukommen – aber trotzdem fehlt auch im noch so gut ausgestatteten Tierpark der Thrill der freien Wildbahn. Da wird Abwechslung gerne angenommen. Die Pandas wackeln besonders eifrig daher. Die kleinen Streber präsentieren aufs kleinste Zeichen Bauch, Beine, Po, Gebiss und Klauen, legen sich auf den Bauch, den Rücken oder strecken sich, dass man die Vermutung haben könnte, es stecken Kinder drinnen, deren „Eislauf-Eltern“ sie für eine Rolle in einem Dr.-Doolittle-Film dressiert haben.

Im Gegensatz zu den meisten Eltern gibt’s bei Eveline Dungl allerdings keine Strafen. Nie. Unter keinen Umständen. Erwünschtes Verhalten wird belohnt, unerwünschtes konsequent ignoriert. Nur wenn jede Reaktion ausbleibt, kann dieses Verhalten „gelöscht“ werden. „Außerdem bieten die Tiere weniger Aktionen an, wenn sie die Konsequenzen fürchten müssen. Und ein Tier, das nur verunsichert dasitzt und nichts tut, lässt sich schwer trainieren“, erklärt Dungl.
Keinesfalls verunsichert wirken auch die großen Orang-Utans. Die 18-jährige Sol freut sich, dass die Pflegerin sich mit ihr beschäftigt. Über das Belohnungsmüsli, das sie löffelweise bekommt, auch. Von Vladimir, der ein wenig weiter in seinem Privatbereich einen auf starker Mann macht, grunzt und laut auf einer Aluminiumabdeckung herumtrommelt, lässt sie sich in keiner Weise stören. Mit dem großen orangen Macho selbst wäre ein Training schwierig, während wir dabei sind. Fremde Männer sieht er als potenzielle Konkurrenz, da ist eine beeindruckende Show wichtiger als gutes Benehmen. Sol streckt inzwischen ihre langen, faltigen Finger durch die Stäbe und wartet darauf, dass die Trainerin ihren Handrücken streichelt. Wenn man ihr dabei in die Augen sieht, hält man es für unmöglich, dass sie dabei nichts fühlt, nicht in irgendeiner uns verwandten Weise denkt …
„Natürlich sind Menschenaffen etwas ganz Besonderes“, sagt Eveline Dungl, „prinzipiell lassen sich allerdings auch Schlangen oder Reptilien trainieren.“ Die gelten aber nicht gerade als besonders intelligent? „Ja, aber was wir unter Intelligenz verstehen, ist für den Erfolg des Trainings nicht maßgeblich.“ Oder unterschätzen wir diese Tiere ganz einfach, wie wir es im Lauf der Geschichte bei so vielen gemacht haben, den Vögeln etwa, die mittlerweile ja als wahre Intelligenzbestien gelten?
„Eine gute Frage. Vielleicht sollten wir sie einfach so stehen lassen“, sagt die Zoologin lächelnd.