Elchtest
Von Eva Gogala
Auch ein Diktator ist nicht unfehlbar. Vor allem, wenn er sich mit Dingen beschäftigt, von denen er nicht viel versteht. Julius Caesar lieferte den Beweis. In seinem Buch „De Bello Gallico“, mit dem sich Generationen von Gymnasiasten abmühen mussten, beschreibt er zum ersten Mal in der Literatur einen Elch. Aber wie! Elche seien Tiere, die wie Ziegen aussehen, nur größer – und vor allem ohne Kniegelenke. Deshalb lehnen sie sich zum Schlafen gern an Bäume. Die Germanen, fabuliert Caesar weiter, sägten die Bäume zwecks Elchjagd einfach an – und warteten, bis die Tiere samt dem Stamm umfielen. Der Feldherr und Kaiser hat den Elchtest nicht bestanden. Der große Naturbeschreiber Plinius war aber auch nicht viel gescheiter. Er behauptete, Elche könnten wegen ihrer großen Oberlippe nur im Rückwärtsgang äsen.
Zum Glück wissen wir es heute besser. Denn Elche lassen sich nicht nur in Tiergärten beobachten – etwa im Innsbrucker Alpenzoo und im Naturtierpark Grünau. Immer öfter taucht ein Exemplar der riesigen Hirschart auch in unseren Breiten in freier Wildbahn auf. Es muss ja nicht gleich so aufsehenerregend sein wie in der Deutschen Stadt Dresden. Dort stand im vergangenen August plötzlich ein Elch im Siemens-Bürohaus. Das verängstigte Tier, das zuvor schon in mehreren Gärten Schaden angerichtet hatte, durchbrach in Panik die Glasfront des Gebäudes, verschanzte sich zwischen einer Wand und einer Glasscheibe und blickte verstört auf die immer größer werdende Menschenmenge vor dem Haus. Erst nach zwei Schüssen aus einem Betäubungsgewehr konnte der Elch aus seiner misslichen Lage befreit werden. Er dürfte aus dem Norden, aus Polen, ins Elbtal gewandert sein.
Auch im Wald- und im Mühlviertel wurden in jüngerer Zeit mehrfach Elche gesichtet, zum Glück unter weniger dramatischen Umständen. Zuletzt tappte im Sommer in der Wachau ein Prachtexemplar in eine Fotofalle. Die Grenzöffnung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat den Weg von Tschechien nach Österreich für die Riesen des Waldes freigemacht.
Verwechslungen sind so gut wie ausgeschlossen. Denn der Elch, das größte Landsäugetier Europas ist einzigartig. Er erreicht eine Schulterhöhe von bis zu 2,30 Meter und kann fast 800 Kilogramm schwer werden. Zumindest der Alaska-Elch. Die Exemplare in Europa wiegen immerhin bis zu 500 Kilo. Mindestens so beeindruckend wie die Größe ist das Geweih mit den charakteristischen Schaufeln. Auch das Maul, der „Muffel“, ist ein eindeutiges Erkennungsmerkmal, das den Tieren ein kurioses Aussehen gibt. Die überhängende Oberlippe ermöglicht es dem Elch, ziemlich geschickt Blätter von Bäumen und sogar von Unterwasserpflanzen zu pflücken. Das ist wichtig – ein ausgewachsener Elch vertilgt pro Tag gut und gern 25 Kilo Nahrung. Typisch ist auch der Kinnbart, den Männchen und Weibchen tragen.
Elche sind Einzelgänger und legen sowohl auf der Suche nach Nahrung als auch nach der richtigen Partnerin weite Strecken zurück. Und sie sind nicht nur gute Schwimmer, die stets die Nähe des Wassers suchen, sondern auch recht flott und ausdauernd unterwegs. „Elche können“, sagt Michael Martys, Direktor des Innsbrucker Alpenzoos, „mit ihren langen Beinen über längere Zeit 55 km/h schnell laufen.“ Die Beine sind ihre stärkste Waffe. Nicht nur, um vor Feinden zu flüchten. Um sich zu verteidigen, schlagen sie – im Gegensatz zu den anderen Hirscharten – mit beiden Beinpaaren aus. So können sie sogar Bären besiegen.
Auch den Pflegern im Zoo nötigen sie einigen Respekt ab. „Das ist wie bei den Bären, denen nähern wir uns nie direkt“, sagt Martys. Gefüttert werden die Pflanzenfresser nur, wenn sie sich in einem anderen Bereich des Geheges aufhalten.
Sind Elche den Kontakt zu Menschen gewöhnt, lassen sie sich gut zähmen. In Russland werden junge Bullen sogar als Reittiere eingesetzt. Allerdings wurden sie früher auch gejagt: Soldaten der russischen Armee trugen im 18. Jahrhundert Uniformen aus Elchleder, was die Population drastisch reduzierte, in Österreich ließen sich Offiziere Handschuhe aus Elchleder schneidern.
Wenn Elche jetzt in unseren Breiten wieder auftauchen, so ist das ein gutes Zeichen. Schließlich waren sie hier schon einmal zuhause. Den Beweis dafür liefert ein Elchskelett, das im Alpenzoo zu sehen ist. Es wurde im Karwendelgebirge auf etwa 1.850 Meter Seehöhe gefunden – in einer Höhle nahe der Pleisenhütte. Es ist rund 2.300 Jahre alt und vollständig erhalten, da weder Füchse noch Raben an das tote Junge herankamen. Der höchste Fundort eines Elches in den Alpen. Bis zum frühen Mittelalter waren sie in unseren Breiten heimisch. Deshalb fanden Elche auch Aufnahme in den Alpenzoo, dessen Programm es ist, nur Tiere des Alpenraums zu zeigen. Das schwedische Königspaar brachte vor mittlerweile 34 Jahren das erste Pärchen nach Innsbruck, dem sinnigerweise die Namen Gustav und Silvia gegeben wurden.
Mit zunehmender Kultivierung der Landschaft und dem Verschwinden der Wälder zogen sich die Elche jedoch in Richtung Norden zurück. In Skandinavien und im Baltikum sind sie sowieso heimisch, ebenso wie im ehemaligen Ostpreußen. Und sie fanden Unterschlupf in der ehemaligen „Todeszone“ des Eisernen Vorhangs. Die Besucher aus dem Norden erobern in Österreich also nur ihren früheren Lebensraum zurück.
Das gilt auch für Wildkatzen, die aus Böhmen einwandern, und für einzelne, seltene Exemplare des Goldschakals, der vom Balkan über Ungarn nach Österreich zurückkommt.
Andere Zuwanderer sind zwar mitunter recht possierlich, aber weniger willkommen. Etwa der Waschbär, der sich explosionsartig ausgebreitet hat. Die ersten Tiere entkamen nach einem Bombentreffer zu Kriegsende aus einem Gehege in Brandenburg. Ökologen sind über die Ausbreitung dieser „Aliens“ nicht begeistert, da sie das Gleichgewicht der Natur durcheinanderbringen könnten und „alteingesessene“ Arten verdrängen. Das gilt auch für den putzigen Enok oder Marderhund, der mit seiner typischen Panzerknacker-Gesichtsmaske dem Waschbären zum Verwechseln ähnlich sieht. Der Enok stammt ursprünglich aus Fernost und ist vermutlich über die ehemalige Sowjetunion eingewandert. Der amerikanische Nerz wiederum, eine Marderart, floh aus Pelztierfarmen und bedroht den europäischen Nerz.
Ein Einwanderer aus Nordamerika, genauer aus den Rocky Mountains, der eigentlich die Krebsfischerei ankurbeln sollte, ist inzwischen ebenfalls zur Plage geworden: der Signalkrebs. Er liebt kühle Fließgewässer, ist gegen die meisten Krankheiten resistent, hat kaum Feinde und vermehrt sich dementsprechend rasch. Er ist drauf und dran, die heimischen Flusskrebse zu verdrängen.
Ein noch äußerst seltener Gast in Österreich ist die Nilgans. Dieser afrikanische Wasservogel, der einst als heilig galt, wurde in Europa in Parks als Ziervogel gehalten, von wo er sich rasch ausbreitete.
All diese Zuwanderer sind jedenfalls weniger willkommen als die Elche. Deren Beine übrigens, Julius Caesar zum Trotz, nicht nur besonders bewegliche Gelenke sondern auch noch Schwimmhäute zwischen den Schalen der Hufe haben. Damit sie im Schnee oder im Morast nicht einsinken. Gut zu wissen beim nächsten Elchtest.