Magic Touch
Von Andreas Bovelino
Handauflegen? Wunderheilen? Hokuspokus? Nein und weder noch. Linda Tellington-Jones ist eine seriöse Frau. 76 Jahre alt, ehemalige Spitzensportlerin, Spring-, Dressur-, Western- und Distance-Reiterin, Pferdezüchterin und -trainerin, Universitätslektorin, Physiotherapeutin und Ehrendoktorin. Im Lauf ihrer jahrzehntelangen, intensiven Arbeit mit Tieren entwickelte sie das, was heute unter „Tellington Touch“ bekannt ist.
Sanfte Berührungen, mit denen kreisförmig die Haut leicht verschoben wird, mal mit den Fingern, dann mit der ganzen Hand – oder auch nur mit Fingerkuppen. Und nicht nur der Erfolg gibt ihr Recht. Mittlerweile lässt sich aus wissenschaftlichen Arbeiten wie denen der Amerikanerin Candace Pert auch ein akademisch standfestes Fundament für Tellingtons Methoden bauen. Denn wenn unsere Zellen Emotionen haben, dann muss ich sie schließlich auch irgendwie glücklich machen können. Und sei es durch kreisende Bewegungen. Um jetzt nicht im „Jede Zelle meines Körpers ist glücklich“-Selbsterfahrungsworkshop zu landen: Glück ist in diesem Kontext natürlich metaphorisch gemeint, wir könnten auch von Aktivierung oder Stimulierung sprechen.
Fest steht jedenfalls: „Es geht viel mehr in jeder einzelnen Zelle vor, als man lange Zeit annahm“, wie Brigid Weinzinger es formuliert, und die Tellington-Touch-Expertin ist über jede Art von Firlefanz erhaben. Ich sitze mit ihr in ihrem Trainingsgelände im schönen Tausendblum bei Neulengbach, die Frau ist wettergebräunt, unprätentiös, sympathisch und hat einen Handschlag wie ein echter Kumpel.
Die studierte Anthrozoologin arbeitet als Verhaltensberaterin für Hunde, aber auch Pferde, Katzen und Menschen. Oft sind es Besitzer von „Problemhunden“, die zu ihr kommen, ängstliche oder aggressive Geschöpfe. „Viele sind so angespannt, dass sie sich selbst nicht mehr spüren“, sagt Weinzinger.
Aber auch Hunde mit Fehlhaltungen, Problemen nach Verletzungen oder diversen Ängsten gehören zu ihren Patienten. Ich bin dort mit meinen beiden Lieblingen. Der eine ist ein bisschen doof, aber lieb, ich hab manchmal das Gefühl, dass ihm sein eigener Körper zu groß ist, vor allem die Beine zu lang, er heißt Nicki, so hieß er schon, als ich ihn aus dem Tierheim holte, aber „Odie“ würde irgendwie besser passen. Die andere heißt Tanita, die im fortgeschrittenen Alter – sie ist zwölf – zunehmend schrullig wird. „Sieht aber gut aus für zwölf“, sagt Weinzinger und ich strahle, weil ich insgeheim davon überzeugt bin, dass sie 20 wird. Mindestens. Erst in letzter Zeit bekam sie ein wenig Rückenprobleme.
„Sie steht ziemlich verkrampft da“, sagt Weinzinger. Ja, sie zieht oft den Schwanz ein, will zeigen, dass sie keine Gefahr darstellt, das war immer schon so, jetzt, im Alter, wird’s aber ein bissl extrem. „Körper und Emotion sind miteinander verschränkt, das eine wirkt auf das andere und umgekehrt. Sie ist unsicher, durch die ständig verkrampfte Haltung bekommt sie Schmerzen, das verstärkt wiederum ihre Angst ...“
Brigid Weinzingers Finger kreisen über Tanitas Steiß, ganz langsam streckt sie ihren Schwanz, die Hündin sieht sich gelangweilt die Bauernhäuser in der Gegend an, als hätte sie die Hoffnung aufgegeben, heute noch auf eine Katze zu stoßen, was bei ihr normalerweise heißt: Sie ist entspannt.
Danach darf Nicki an einer Balanceleine einen Parcours mit minimalen Hindernissen (etwa 1 cm hoch) bewältigen und schafft es gerade so, nicht über seine eigenen Beine zu fallen. „Durch die ungewohnte Leine und das langsame Ausführen der Übungen machen wir ihm seine Bewegungen zum ersten Mal wirklich bewusst“, sagt die Trainerin. Nach Nickis Gesichtsausdruck zu schließen, bin ich mir zwar nicht sicher, ob ihm jemals irgendetwas wirklich bewusst sein wird – aber ich hab ihn tatsächlich noch nie so vorsichtig, exakt und geduldig gehen gesehen.
Am Abend waren beide müde, aber glücklich. Schnarchnase Nicki schlief sofort langgestreckt auf der Couch ein, Tanita rollte sich elegant wie eine Dreijährige zusammen und flüsterte mir bei unserer Gute-Nacht-Umarmung ins Ohr: „Die ist nett, die Tante – da gehn wir wieder hin, oder?“ – „Gern“, sag ich, „alles, was du willst, mein Mädchen.“
Meine Hündin Daisy war zehn Jahre in einem Versuchslabor. Als sie zu mir kam, war die Diagnose erschütternd: Krebs, jede Menge Metastasen, sie einzuschläfern, sei eine Erlösung, meinten die meisten Tierärzte. Ich wollte das nicht, nahm sie zu mir ins Schlafzimmer, um sie immer beobachten und rasch reagieren zu können, falls ihr Zustand sich dramatisch verschlechtern oder sie unerträgliche Schmerzen bekommen sollte. Von Beginn an wendete ich zwei Mal täglich Tellington-Touches bei ihr an. Ich behaupte nicht, dass sie das vom Krebs heilen könnte – aber es macht die Zeit, die sie noch hat, definitiv schöner. Und vielleicht auch ein wenig länger. Ich bin in diesen Dingen nicht sehr talentiert und es hat einige Zeit gedauert, bis ich die Methode wirklich konnte. Aber wenn ich das kann – dann kann es jeder lernen.
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