Leben

Rolando Villazón über Musik

freizeit: Herr Villazón, entschuldigen Sie bitte die Verspätung ...

Rolando Villazón: Wieso sind Sie zu spät gekommen?

Es war Stau, obwohl es früher Nachmittag ist.

Okay, fangen wir gleich an. Wir haben zehn Minuten. Ich muss nachher wieder zur Probe.

Zehn Minuten? Das wird knapp.

Allez, allez! Los geht’s.

Sie feiern heute, Samstag, mit „Viva la Mamma“ Ihr Volksopern-Debüt als Regisseur. Es geht dabei um die Sitten und Unsitten am Theater. Wie deckt sich denn die Bühnenversion mit der Realität?

Am Theater gibt es immer Sachen, die schief gehen. Schauspieler, die zum Beispiel einen Text nicht sagen wollen, Statisten, die von der falschen Seite kommen – und es gibt auch immer das Zeitproblem. Man wird nie rechtzeitig fertig. Das passiert in jeder Produktion und ist auch die Geschichte von „Viva la Mamma“.

Sie haben auch schon Donizettis „Liebestrank“ in Baden-Baden inszeniert. Haben Sie eigentlich festgelegt, wie viel Zeit Sie für welche Tätigkeit aufwenden? Sie singen, schreiben Bücher, drehen Dokus fürs Fernsehen ...

In dieser Spielzeit mache ich drei Neuinszenierungen in einer Saison. Das ist schon abenteuerlich. Es gibt das Projekt an der Volksoper, eines an der Deutschen Oper Berlin und dann noch mal Baden-Baden Das ist natürlich viel Arbeit, aber ich bin ganz glücklich. Arrangiert wird das alles von meinem Management, damit ich Zeit zum Singen, Einstudieren der Rollen, Inszenieren und für mein Privatleben habe.

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Wie viele Tage pro Jahr haben Sie frei?

Ich brauche mindestens 150 freie Tage pro Jahr. Wenn ich an 215 Tagen verplant bin, sage ich nichts mehr zu. Natürlich lerne ich an den 150 Tagen meine Texte oder schreibe Bücher, aber ich bin in keinen Proben und mache keine Fernsehsendungen oder Aufnahmen. Diese Zeit verbringe ich zuhause bei meiner Familie.

Zuhause ist für Sie Paris. Wie geht es Ihnen als gebürtigem Lateinamerikaner mit der europäischen Mentalität?

Ganz gut, da ich überall auf der Welt ein Fremder bin. Ich bin 1998 aus Mexiko weggegangen. Seither ist das Land ein anderes geworden. Die Kultur, das Fernsehen und die Popmusik haben sich verändert. Wenn man Jahre später zurückkommt, gehört man nicht mehr dazu. Natürlich kann ich noch immer gut mit den Menschen dort kommunizieren und liebe das mexikanische Essen. Aber meine Kleidung ist anders, meine Erfahrungen und Visionen sind es auch. Das macht mich zu einem Fremden.

Sie erzählen das mit so viel Fröhlichkeit in der Stimme. Ist das nicht traurig?

Im Gegenteil. Ich liebe das Gefühl, ein Fremder zu sein. Das bin ich auch in Paris, wo ich seit zwölf Jahren lebe. Ich bin dort nicht geboren, spreche die Sprache nicht so gut und die Kultur ist auch eine andere. In Österreich ist es das Gleiche. Aber ich brauche weder Sprache noch einen Ort, um mich gut zu fühlen. Ich gehöre zur Kunst, zu meiner Familie oder zu den Büchern, die ich lese. Das reicht mir.

Was ist das Schönste am Fremdsein?

Als Fremder sieht man alles mit neuen Augen. Es gibt keine Routine. Nehmen wir das Fenster hier in der Garderobe. Es ist jeden Tag da. Vielleicht würde ich seinen Charme und seine Schönheit nicht sehen, würde ich es jeden Tag sehen. Oder stellen Sie sich vor, Sie würden jeden Tag Pizza essen. Nach zwei Wochen hätten Sie keine Freude mehr. Ich war zum Beispiel noch nie zu dieser Zeit in Wien. An jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken – neue Restaurants, neue Leute. Das ist super! Ich bin ja auch kein Tourist, sondern kann immer länger bleiben. Ihre zehn Minuten sind übrigens um. Fertig!

Aha. Und womit soll ich jetzt die Seiten füllen?

Witz. Sie hätten Ihr Gesicht sehen sollen. Ich muss später was essen und dann proben. Aber ich mache gerne weiter.

Glück gehabt. Ihr Talent fürs Singen wurde mit zwölf Jahren entdeckt. In der Oper waren Sie erst mit 21 Jahren zum ersten Mal. Warum hat es so lange gedauert?

Angehört habe ich mir Opern schon viel früher, aber Mexiko ist nun mal kein Opernland. Es gibt ein wunderschönes Theater in Mexiko City, den „Palacio de Bellas Artes“. Die besten Sänger sind von dort an die Met gegangen. Aber von den 120 Millionen Einwohnern des Landes mögen vielleicht 100.000 die Oper. Es ist nicht Teil unserer Kultur. In meiner Familie gab es weder klassische Musik noch Literatur. Ich habe alles selbst durch Zufall oder Freunde entdeckt. Mit zwölf kam die klassische Musik, die Oper mit 17 Jahren. Damals habe ich Tosca zum ersten Mal gehört. Es war auch die erste Oper, die ich gesehen habe.

Sie präsentieren auf „Arte“ seit mehreren Jahren die Sendung „Stars von morgen“. ist Ihnen dort ein Künstler aufgefallen, der so viel erreichen könnte wie Sie?

Was habe ich denn erreicht?

Na ja, Sie sind der berühmteste Tenor der Welt. Berühmtheit ist nicht wichtig, es ist eine Konsequenz. Der Vorteil ist, dass man sich nicht immer fragen muss, was die Leute von einem denken. Man kann frei handeln und tun, was das Künstlerherz möchte. Was die Künstler in der Sendung angeht, haben die meisten schon Verträge in der Tasche und Aufnahmen gemacht.

Sie sind bereits im Kreise der Besten. Berühmtheit hängt dann von vielen Faktoren ab: Der Qualität des Künstlers, wie er vor der Kamera agiert, welche Persönlichkeit er hat und ob er einer Journalistin, die zu spät kommt, ein Interview gibt.

Ich komme wirklich selten zu spät.

Ich immer. Sie waren ja auch nicht zu spät. Die paar Minuten. Ich bin auch erst eine Minute vor Ihnen gekommen. Ich mache Witze. Ich liebe es, solche Witze zu machen. Humor ist viel besser als Ruhm. Er ist überhaupt nie ein Ziel, sondern die Kunst. Fragen Sie mal berühmte Leute, ob sie gerne berühmt sind.

Sind Sie gerne berühmt?

Gut gemacht. Viele werden sagen, es ist schwierig, berühmt zu sein. Ich habe noch das Glück, dass ich jeden Morgen mit der Straßenbahn zur Volksoper fahren kann. Zwei, drei Menschen fragen mich um ein Foto oder ein Autogramm – basta. Manchmal führe ich auch ein kurzes Gespräch. Das ist nett und dann geht es weiter.

- Rolando Villazón

Es ist sehr schön, dass Sie jede Frage reflektieren und bei der Antwort so mitleben.

Ich muss zugeben, dass ich mir am Anfang von Interviews immer denke: ‚Oh nein!‘ Aber wenn ich mal drinnen bin, gebe ich alles. Das ist bei jeder Inszenierung so, bei einem Gespräch mit einem Freund und bei Interviews. Sie geben einem die Möglichkeit, über Dinge nachzudenken. Wenn Sie mich jetzt fragen: „Wann haben Sie angefangen zu singen?“ ist das eine schlechte Frage. Biografische Dinge habe ich tausendmal erzählt. Aber wenn es um Ideen, Philosophie und Kunst geht, erwache ich zum Leben und gebe gerne meine Meinung ab.

Wie ist Ihre Meinung zur Kirche? Sie wollten einmal Priester werden und haben für das ZDF die Doku „Der Heilige und der PapstRolando Villazón auf den Spuren von Franziskus“ gedreht.

Seit ich Priester werden wollte, hat sich viel verändert. Ich bin aus der Kirche ausgetreten und habe versucht, meinen eigenen Weg zu gehen. Spiritualität ist ein Abenteuer und ich habe mir viele Philosophien vom Buddhismus bis zum Atheismus angesehen. Es gibt einige Figuren wie Jesus, Buddha, Sokrates, Konfuzius, Gandhi oder Franz von Assisi, die für mich relevant sind. In der Doku folge ich den Spuren eines Revolutionärs. Ich wollte mich nicht als betenden Gläubigen darstellen, sondern Franz von Assisis Geschichte erzählen. Er hat alles durcheinandergebracht mit seinen Ideen, Gedanken und seinem Glauben. Die Kirche wusste nicht, was sie mit ihm machen soll. Am Scheiterhaufen verbrennen oder integrieren? Zum Glück hat sie die einzig richtige Entscheidung getroffen.

Und der neue Papst?

Papst Franziskus berührt mich. Er sucht die Nähe der Menschen, öffnet die Türen der Kirche und versucht, diese Religion noch mal lebendig zu machen. Aber die Kirche bewegt sich in einer schnelllebigen Zeit zu langsam. Das kann es nicht sein. Vor allem in Zeiten des Extremismus muss die Kirche bessere Antworten haben und Menschen einen Platz bieten, wo sie sich treffen und wohlfühlen können. Ich glaube, das macht Kunst.

Sind Sie wieder in die Kirche eingetreten, seit Franziskus im Amt ist?

Ich bin noch immer mit vielem nicht einverstanden und würde erst wieder eintreten, wenn die Kirche mehr Verständnis zeigt: für Frauen generell oder Männer, die Männer heiraten wollen und einiges anderes. Es soll auch jemand sein Leben beenden können, wenn er nicht mehr leben will. Jesus würde sagen: ‚Basta! Komm!‘ Obwohl ich nicht glaube, dass Jesus Gott ist. Jetzt könnte man lange diskutieren, was Gott ist. Da fehlt uns die Zeit. Zusammenfassend würde ich sagen: Ich bin spiritueller Atheist.

Lassen Sie uns in Gedanken noch kurz nach Salzburg reisen. Sie werden bei den Festspielen in Glucks „Iphigenie auf Tauris“ zu sehen sein. Wie liegt Ihnen die Stadt?

Ich liebe sie. In Salzburg ist es immer wunderbar. Wobei es im August schon ein bisschen verrückt ist, wenn so viele Leute da sind. Ich bin gerne während der Mozart-Woche im Jänner in Salzburg. Während der Proben zu „Lucio Silla“ zum Beispiel hat es geschneit und es waren viel weniger Menschen in der Stadt. Das war so schön. Wenn ich in Salzburg bin, gehe ich immer nach den Proben zu Mozarts Denkmal, um ‚Gute Nacht!‘ zu sagen. Ich weiß natürlich, wie blöd das ist, mit ihm zu sprechen, aber ich glaube an Rituale. Sie sind gut für den Menschen. Das ist es auch, was ich vermisse, seit ich aus der Kirche ausgetreten bin. Ich bete heute nicht mehr, lese aber Gedichte – zwei, drei Mal, damit ich sie fühle. Und Mozart ist mir mittlerweile zum Freund geworden. Nicht nur deshalb freue ich mich auf Salzburg. Ich bin ganz glücklich, in dieser Produktion zum ersten Mal mit Cecilia Bartoli zusammenzuarbeiten.

Sie haben in Salzburg auch mit Anna Netrebko gesungen. Ist es unter Opernsängern üblich, Kontakt zu halten?

Es ist nicht so, dass man sich ständig hört. Der Einzige, zu dem ich einen Nahkontakt habe, ist Maestro Barenboim. Wir hören einander ein Mal pro Monat und fragen nach, wie es dem anderen geht. Anna habe ich zuletzt Ende Oktober beim „ECHO Klassik“ in München gesehen. Wir sind danach alle zusammen ein Bier trinken gegangen. Das war ganz schön und sehr entspannt.

Was Ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Frau Netrebko sich mit einem Separatistenführer fotografieren ließ?

Das war natürlich ein Fehler und sehr unglücklich. Aber sie hat Geld für eine Oper gespendet, das war ihr eigentliches Anliegen und das sollte man ihr auch glauben. Als öffentliche Person muss man allerdings aufpassen, wer auf einem Foto neben einem steht und welche Flagge man sich in die Hand drücken lässt. Das ist wichtig. Aber sie hat erklärt, dass es so nicht geplant war und damit, denke ich, ist es auch gut. Wir alle müssen anderen Menschen gegenüber Verständnis zeigen, wenn es angebracht ist. Und hier ist es eindeutig angebracht. Stellen Sie sich vor, ich hätte vorhin gesagt: „Nach zehn Minuten ist Schluss mit dem Interview. Ist doch Ihr Problem. Ich gehe weg.“

Danke, dass Sie geblieben sind.

Sagen Sie nicht danke.

Sondern?

Guten Appetit! Ich muss jetzt einen Happen essen gehen.

Rolando Villazón , 42, wurde in Mexiko-Stadt geboren und hat österreichische Wurzeln – seine Urgroßmutter wanderte seinerzeit nach Mexiko aus. Deshalb besuchte Villazón dort auch eine deutsche Schule und spricht gut Deutsch. Als Sänger wurde er mit zwölf Jahren entdeckt, weil ihn ein Musiklehrer beim Singen unter der Dusche gehört hatte. Von da an wurde er gefördert und belegte 1999 den zweiten Platz in Plácido Domingos Operalia-Gesangswettbewerb. Bis 2006 feierte der Star-Tenor zahlreiche Erfolge, ehe er wegen Stimmproblemen und Burn-out längere Pausen einlegen musste. Heute ist er auch als Regisseur und Autor tätig. Villazón ist mit Jugendliebe Lucia, einer Psychologin, verheiratet und hat zwei Kinder. Seit 18 Jahren befindet er sich in Psychoanalyse: „Was ist der Unterschied zwischen einem Psychoanalytiker und einem Vampir? Der Vampir lässt irgendwann los!“

www.rolandovillazon.com

www.volksoper.at