Leben

Star Man

Ein Mann zieht einen Revolver. „Na los, küss mir den Hintern, Schwuchtel“, schreit er und zielt auf einen langhaarigen Typen, der in Frauenkleidern den Gehsteig entlangschlendert. Es entsteht ein Tumult, Menschen, die gerade noch über das beinahe außerirdisch wirkende Wesen in der Seidenrobe gekichert haben, springen kreischend zur Seite. Autos hupen, bleiben quietschend stehen. Doch der junge Mann geht lächelnd weiter. Kein Schuss fällt. Februar 1971, irgendwo in Texas

David Bowies erste Reise in die USA war kein kommerzieller Erfolg, aber er sorgte dennoch für gehöriges Aufsehen. Der 24-Jährige sollte sein aktuelles Album promoten: „The Man Who Sold The World“. Im Gepäck hatte er zwar keine Arbeitserlaubnis, aber fünf elegante Damenkleider. Seine Begegnung mit dem aufrechten Texaner verarbeitete USA-Fan Bowie später in dem Song „I’m Afraid Of Americans“...

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Wichtiger für die Musikwelt sollte allerdings eine Idee sein, die er hatte, als er in New York sein Idol Iggy Pop kennenlernte: Er wollte eine Kunstfigur erschaffen, größer als das Leben – einen völlig jenseitigen, außerirdischen Rockmusiker namens Ziggy Stardust.

Noch im selben Jahr nimmt Bowie neue Songs auf, 1972 wird er mit dem Album „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“ scheinbar über Nacht zum Superstar. Platin in England, Gold in den USA, weltweit in den Charts – von New York bis Tokio lagen die Fans Ziggy Stardust, dem exzentrischen androgynen Wesen mit seinen fantastischen Kostümen und dem orangen Haar zu Füßen. Die Konzerte waren riesige Happenings, Mega-Crossdressing-Partys, auf denen eine Conchita Wurst für kaum mehr als eine in Anerkennung gehobenen Augenbraue gesorgt hätte. David Bowie war in Personalunion König und Königin, Prinz und Prinzessin der gesamten Popwelt. Oder war es sein Alter Ego „Ziggy Stardust“? Egal, es war jedenfalls ein weiter Weg für den konsequent erfolglosen Mod, der Bowie in den 60ern noch war. Wie hatte er das geschafft?

Mr. Bowie – oder eigentlich Davy Jones, wie er bis 18 hieß – zeigte schon mit einer seiner frühesten Bands, den „Manish Boys“, den Willen zur PR-Aktion: Er gründete die „Gesellschaft zum Kampf gegen Grausamkeit gegenüber langem Haar“. Was ihm sogar TV-Interviews einbrachte – aber keinen Platz in den Charts. Jahrelang verfolgte er jeden musikalischen Trend, ohne selbst Eindruck auf Musik-Fans oder Plattenbosse zu machen. Als „Velvet Underground“-Fan der ersten Stunde versuchte Bowie sich 1967 auch im Böse-Buben-Genre, aber verglichen mit dem Vorbild „Venus in Furs“ blieb sein Song „Toy Soldier“ doch zu harmlos. „David liebte Künstler, die Grenzen überschritten, schockierten, unverschämt waren – aber ihm selbst fehlte es damals an Selbstvertrauen“, sagt Biograf Dave Thompson.

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1969 entdeckte Bowie die US-Punk-Pioniere „Iggy & The Stooges“ für sich. Doch während James Osterberg alias Iggy Pop, ein Ex-Geschichte-Student und Experte für römische Antike, seine Kunstfigur gnadenlos dafür benutzte, sich über sämtliche Konventionen hinwegzusetzen, war Bowies Stern nach einem kurzen Aufflackern mit dem Song „Space Oddity“ bereits wieder im Sinken begriffen.

Doch dann kam Angie. Die junge Amerikanerin Angela Barnett jobbte in London für diverse Plattenlabels. „Und sie war tatsächlich ausgefallen, hatte absolut keine Hemmungen“, erinnert sich Bowie-Biograf Thompson. Bowie und sie wurden ein Paar, Angie überzeugte ihn davon, die Haare wachsen zu lassen und sich zu schminken. Sie ließ schrille Bühnen-Outfits für die Band schneidern und steckte Bowie schließlich in Frauenkleidern.

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Und mit seiner neuen Identität wurde auch Bowies Musik selbstbewusster. Zu hören schon auf „The Man Who Sold The World“, kurz darauf auch auf „Hunky Dory“ – und schließlich dem Meilenstein „Ziggy Stardust“. Bowie selbst erklärt das so: „Ich bin kein geborener Performer. Ich selbst habe mich weder auf der Bühne noch im Studio wohl gefühlt. Aber als jemand anderer war alles plötzlich ganz einfach.“


Die Kehrseite der Medaille: Der Ruhm, der Applaus und auch die Liebe der Fans, so dachte Bowie, galten Ziggy Stardust, dem Paradiesvogel – und nicht Davy Jones aus Brixton. Am 3. Juli 1973, nicht einmal zwei Jahre nachdem er Ziggy erschaffen hatte, trug er ihn in einem legendären Konzert im Londoner Hammersmith zu Grabe. Doch die Ängste vor dem eigenen Ich blieben – und damit Bowies Besessenheit, sich immer neue Alter Egos zuzulegen. Sie bescherten der Musikwelt noch neun weitere Alben, die ein ganzes Jahrzehnt prägen sollten. Von „Aladdin Sane“ über die Berliner Meisterwerke mit „Heroes“ bis zu „Scary Monsters“. Und sie brachten Bowie durch seine Flucht in die Welt der harten Drogen dem Tod wesentlich näher, als jener bewaffnete Texaner im Februar 1971 ...

Sänger, Komponist, Produzent, Maler, Schauspieler. 140 Millionen verkaufte CDs, Grammy Awards, Brit Awards, Emmy Awards, „Best dressed Man“ des britischen Empire – David Bowie ist nicht nur ein Superstar, sondern eine gesellschaftlich anerkannte Ikone. Ein echter Sir, auch wenn er die Ernennung zum Ritter durch die Queen dankend abgelehnt hat. Bei so viel Etabliertheit vergisst man leicht, was für ein Schock seine Auftritte in den 70ern fürs Establishment bedeuteten. Wie nahe ihn sein exzessiver Rock ’n’ Roll-Lifestyle einem frühen Ende brachte. „Drogen haben mir mein Leben genommen. Mit 28 dachte ich, ich würde sterben“, sagt er heute. Und erst recht vergisst man, wie lange Bowie für diesen Erfolg gearbeitet hat. Ab 1963 versuchte er vergeblich, in der Musikszene Fuß zu fassen ...

Geboren wurde David Bowie am 8.1. 1947 als David Robert Jones in Brixton, London. Sein künstlerisches Talent wurde auf der „Bromley Technical High School“ gefördert. Dank Direktor Owen Frampton, dem Vater des gefeierten Gitarreros Peter, der ein Schulfreund von ihm war. Seine ungleichen Pupillen sind das Resultat einer Schlägerei mit seinem besten Freund, dem späteren Grafik-Designer George Underwood. Es ging um ein Mädchen. Ein Faustschlag Underwoods lähmte Bowies Pupille ...

Den Nachnamen „Bowie“ nahm er an, um Verwechslungen mit Davy Jones, den Sänger der Monkees, zu vermeiden. Er suchte „etwas Schärferes“ und entschied sich als glühender Amerika-Verehrer für Jim Bowie, den Western-Helden und Erfinder des Bowie-Messers.

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Der Brite Mick Rock gilt als „The Man Who Shot the Seventies“. Während der „Ziggy Stardust“-Ära war er David Bowies offizieller Fotograf, begleitete ihn auf Tour und auch privat. Auf 300 Seiten sind diese Bilder, viele davon zuvor unveröffentlicht, nun als Buch erschienen: „The Rise Of David Bowie. 1972-1973“ (Taschen Verlag, ca. € 500,-)

Und hier geht's zur Stor über Davids Freund Marc Bolan und einer ultimativen Glam-Rock Playlist.