Leben

ELEKTRONIK ZUM ANZIEHEN

Als britische Bergsteiger die Erstbesteigung des Mount Everest schafften, hatten sie eine Ausrüstung, mit der man heute nicht einmal eine etwas anspruchsvollere Bergtour wagen würde. Mit klobigen Jacken, schweren Schnürlsamthosen, dicken Wollpullovern und Lederschuhen, die auf mehr als 8.000 Meter zu Eisklumpen wurden, bezwang man 1924 den höchsten Berg der Welt. Heute trocknen Alpinisten ihre Kunststoffschuhe in weniger als zwei Minuten über der Gasflamme. Bald werden intelligente Schuhe Kalorienverbrauch, zurückgelegte Distanz und durchschnittliche Geschwindigkeit des Sportlers errechnen und speichern. Als twitternde Turnschuhe jagen sie dann neue Höchstleistungen des stolzen Besitzers in die Welt hinaus.
In Zukunft werden Smart Clothes – Textilien, die mit hochsensiblen Mini-Sensoren ausgestattet sind – unser Leben nicht nur beim Sport verbessern. Kleidung wird immer klüger. Diese smarten, elektronischen Begleiter sind schon bald fixer Bestandteil unserer Garderobe. Wie das Vital-T-Shirt. Es misst Herz- und Atemfrequenz, the Little Black Box, ein kleines Daten-Modul, das wie ein Autoschlüssel aussieht, zeichnet die gemessenen Werte auf und streamt sie auf das Smartphone. Dadurch ergibt sich ein optimaler Überblick über den Gesundheitszustand des Sportlers – ohne extra Bänder und Uhren, die stören könnten. Und Bekleidung mit integriertem Mini-EKG warnt vor Überlastung und kann dadurch sogar Leben retten.
Aber auch im Alltag soll Elektronik zum Anziehen bald eingesetzt werden. Ein T-Shirt misst Blutdruck, Pulsschlag und Körpertemperatur, aber auch außerordentliche Stresssituationen. Bei Dehydrierung oder unregelmäßiger Herzfrequenz wird Alarm ausgelöst. Denkbar ist auch, dass erfasste Daten bei Extremsituationen sofort an den Hausarzt oder ein Krankenhaus gesendet werden. Das Leiberl hat dann bereits
eine erste Diagnose gestellt. Doktor
T-Shirt fungiert als zukünftiger Partner der Medizin.
Auch die Aktivität und der Gesundheitszustand von Neugeborenen wird über die Kleidung gemessen und an das Baby-Smartphone der Mutter gestreamt: Smarte Strampler mit eingebauten Sensoren zeichnen permanent sämtliche Körperfunktionen auf, für Eltern ist die Gefahr des plötzlichen Kindstodes gebannt, Frühgeborene auf Intensivstationen werden ohne Verkabelungen überwacht.
Wearable Tech ist das Wunderwort der Mode-Zukunft. Die holländische Designerin Pauline van Dongen beschreitet bereits heute neue Wege und setzt Signale für die Zukunft: Eingewebte Solarzellen machen ihre Kleider zu wandelnden Energiequellen, die bei Bedarf ausgeklappt werden und nach einem Spaziergang in der Sonne iPad oder E-Bike laden. Ein von Microsoft entwickelter Schal erkennt das Temperaturempfinden seines Trägers. Über das Handy wird dem smarten, sensiblen Schal befohlen, sich aufzuwärmen – oder auch abzukühlen.
Modisch-elektronische Innovationen, Kleidung mit Zusatzfunktionen für Information, Kommunikation und Unterhaltung wird schon in ein paar Jahren selbstverständlich sein: Multimedia-Touchscreen-Jacken mit eingebauten Smartphones, MP3-Playern oder GPS-Geräten verändern unser Leben. Und strahlende Funktionsbekleidung mit Leuchtdioden wird nicht nur originell sein, sondern auch Sicherheit in der Nacht bieten. Und an Robert Redford erinnern. Vor mehr als 35 Jahren spielte er den elektrischen Reiter. In einer Rodeo-Bekleidung mit hunderten leuchtenden Lamperln ritt er im Kreis. Und niemand dachte an T-Shirts, die Leben retten können.

michael.horowitz@kurier.at