Ski-Ass Feller: "Der Sommer ist für mich da, um den Winter zu überleben"
Von Barbara Reiter
Manuel Feller? Das ist doch der mit den langen Haaren und dem Kermit-grünen Schnauzbart – und WM-Silber in St. Moritz 2017 hat er auch in der Tasche. Doch zum Interview kommt das Slalom-Ass aus Tirol längst nicht so verrückt, wie man ihn von der Piste her kennt. Später wird er erzählen, warum. Es ist Sommer und Feller trägt Jeans statt Rennanzug. Er ist mehr als durchtrainiert, sein definierter Körper zeichnet sich unter dem T-Shirt ab. Sein Schnauzer ist nur noch angedeutet und die langen Haare hat er unter einer Baseball-Kappe mit der Aufschrift „Peace, Love, Music“ versteckt. Feller liebt Skifahren – und er liebt Reggae und verehrt Bob Marley. Genug Gesprächsstoff also. Aber zuerst wollen wir die wichtigste Frage klären:
Herr Feller, was macht ein Skifahrer im Sommer? Und sagen Sie jetzt bitte nicht trainieren.
Es ist aber so. Ich trainiere fünf Tage die Woche je zwei Mal und mache Therapie. Am Wochenende habe ich Termine und manchmal auch frei.
Sie gelten als bunter Hund im Skizirkus, sind mit grün gefärbtem Schnauzbart die Pisten hinuntergedüst. Welche Farbe werden Sie kommenden Winter tragen?
Ich finde es cool, dass sich die Sache mit dem grünen Schnauzer so viele gemerkt haben, vor allem Kinder. Sie fragen mich auch immer, was es kommenden Winter für eine Farbe wird. Da tut es mir fast ein bissl leid, wenn ich sagen muss, dass das jetzt vorbei ist. Vielleicht mache ich das beim letzten Rennen wieder.
Warum das? Hat Ihnen der ÖSV ein Schnauz-Verbot erteilt?
Niemand hat etwas gesagt. Das geht von mir aus, weil der Rummel um meine Person so viel mehr geworden ist. Ich habe beschlossen, das muss nicht mehr sein. Ich habe einfach immer öfter festgestellt, dass manche Leute den Respekt ein bisschen verloren haben.
Was ist passiert?
Ein Beispiel war Schladming. Ich war beim Frühstücken, als sich Leute zu mir gesetzt und das Handy ausgepackt haben. Einige haben sogar versucht, auf der Toilette Fotos zu machen. „Das passt eh, oder?“, haben sie gesagt. Beim Skifahren haben wir noch das Privileg, direkt mit den Fans in Kontakt zu sein. Das gibt es sonst bei keiner Sportart. Wenn du in Kitzbühel aus dem Stadion gehst, bist du mitten unter Fans. Ich will nicht, dass wir irgendwann mit dem Bus vorfahren müssen wie im Fußball, um uns abzugrenzen.
Sie sind eben beliebt und auch auf Instagram mit 68.000 Followern sehr erfolgreich. Auch dort haben Sie Ihre Kritik geäußert. Waren Sie immer einer, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt?
Ich mache das nicht aus Kalkül, aber im Grunde ist mir wichtig, zu sagen, was ich denke. Skifahrer waren lange nur Teil eines Verbandes und keine eigenen Persönlichkeiten. Das hat sich durch Social Media verändert. Man wird nicht mehr nur als kleines Schäfchen einer Herde wahrgenommen, sondern als Individuum. Das schadet auch dem Verband nicht.
Jeder Tiroler, sagt man, kann Skifahren. Profi zu werden, ist noch mal etwas anderes. Wie kam das bei Ihnen?
Die Mama und die Goti (Patentante) haben mir auf der Wiese neben unserem Haus Skifahren gelernt. Der nächste Schritt war der Schlepplift gegenüber und irgendwann ist mein Papa im freien Gelände mit mir gefahren. Mit zehn bin ich dort runtergefahren, wo heute die Freerider bei der Worldtour abfahren. Damals habe ich auch beschlossen, in die Skihauptschule zu gehen.
Und Ihre Eltern haben diesen großen Schritt nicht mitentschieden?
Es war ein bissl eine Diskussion. Natürlich wollte ich das! Aber im Nachhinein weiß ich nicht, ob ich es noch einmal tun würde. Mit zehn Jahren ins Internat zu kommen, ist schon sehr früh. Die Fahrer heute sind alle erst fünf Jahre später eingestiegen. Vor Stams war ich ein Jahr im Sportgymnasium in Saalfelden, mit 19 Profi. Für mich war es immer ein Traum, Skifahrer zu werden, auch wenn es unwahrscheinlich war.
Wann haben Sie gemerkt, dass es läuft?
Eigentlich nach dem Abschluss der Schule. Ich hatte mehr Zeit fürs Training und habe dadurch nochmal einen Riesensprung nach vorne gemacht. Da habe ich gespürt, dass ich Skiprofi werden kann. Danach ist es gut weitergegangen – bis zum ersten Bandscheibenvorfall.
War er gefährdend für die Karriere?
Ich musste mich damit auseinandersetzen, etwas anderes zu machen, habe mich aber dann auf das konzentriert, was im Moment zu tun ist: Therapie und Training. Nach einem dreiviertel Jahr hatten wir das Problem gelöst.
Sie hatten noch zwei kleinere Bandscheibenvorfälle. Haut man da nicht langsam den Hut drauf?
Es klingt vielleicht blöd, aber die Bandscheibenvorfälle waren womöglich das Beste, was mir passiert ist. Ich konnte dadurch noch einmal professioneller werden, weil ich mein Leben komplett danach richten musste. Aber der größte Benefit war, dass ich ein unglaublich gutes Körpergefühl entwickelt habe. Wenn es zwickt, weiß ich wo und kann den Therapeuten unterstützen. So kann ich Verletzungen schneller regenerieren, weil ich früher auf Sachen draufkomme.
Sie sind erst 25. Denken Sie manchmal darüber nach, dass Ihr Körper durch die Überbelastung später einmal Probleme machen könnte?
Spitzensport ist nie gesund. Im Urlaub ist die erste Woche immer ein Horror, weil mein körperliches Befinden jeden Tag schlechter wird. Aber nach einer Woche Ruhepause bin ich fast wie ein normaler Mensch. Du kannst einfach einmal die Spannung im ganzen Körper abbauen und die Muskulatur verkrampft nicht mehr.
Verletzungen haben ja noch eine zweite negative Seite: Sie können dich sozusagen den Job kosten.
Grundsätzlich kann es von einem auf den anderen Tag vorbei sein und man sollte sich deshalb etwas überlegen. Es gibt vom Verband her Angebote wie „KADA – Karriere danach“. Da kannst du zum Beispiel die Ausbildung zum Filialleiter machen.
Das geht aber in eine ganz andere Richtung. Würde Ihnen das gefallen?
Heutzutage musst du froh sein, wenn du einen Job hast. Aber das Erste, was mir in den Sinn kommt, ist schon der Sport. Ich habe den Skilehrer-Anwärter gemacht und habe automatisch den Landeslehrer, weil ich Weltcupläufer bin. Darauf könnte ich aufbauen.
Sie haben aber noch eine zweite große Passion im Leben: die Musik.
So kann man das sagen. Ich bin in meinem Heimatort Fieberbrunn mit Reggae und Dancehall aufgewachsen (Musikrichtung aus dem Reggae), weil es eine Szene bei uns gegeben hat. Am Anfang habe ich natürlich nicht verstanden, was gesungen wird, aber mit der Zeit festgestellt, dass 99 Prozent der Musik lyrisch sind.
Dancehall gilt teilweise als gewaltverherrlichend. Warum hören Sie es?
Man muss die jamaikanische Kultur kennen, um die Hintergründe der Musik zu verstehen. Ich war vor vier Jahren zum ersten Mal dort. Bei Reggae geht es meistens um Friede, Freude, Eierkuchen. Dancehall reflektiert, was ein normaler Tourist auf Jamaika nicht mitkriegt.
Sie meinen Gewalt?
Genau. 90 Prozent der Touristen bleiben in ihren Hotelkomplexen am Strand mit dem blauen Meer und machen die Bus-Tour ins Bob-Marley-Museum. Aber dass jeden Tag dort Menschen verhungern und sterben, will niemand sehen. Das sind die Themen in der Musik. Man kann sich im Leben nicht alles schönreden.
Das heißt, Sie wohnen nicht im Hotelkomplex, wenn Sie auf Jamaika sind?
Ich mache immer eine Woche Urlaub und eine Woche Nightlife. In Montego Bay wohne ich bei einem Zillertaler, der seit 40 Jahren auf Jamaika lebt und in Kingston bei Freunden.
Stimmt es, dass Sie barfuß zur Grabstätte von Bob Marley gerutscht sind?
Es gibt an seinem Grab halt ein paar Auflagen. Schuhe ausziehen, Handy draußen lassen und mit einer Kerze um sein Grab gehen. Die Kerze steht heute noch bei mir zuhause. Bob Marley war für mich der Künstler des Jahrtausends. Er hat weltweit so viele Menschen erreicht wie kein anderer – aus allen Schichten.
Was ist mit dem Sänger Vybz Kartel, den Sie auch verehren? Er sitzt seit 2014 wegen Mordes im Gefängnis ...
Die Geschichte ist so: Auf Jamaika sind 50 Prozent aller, die einsitzen, unschuldig. Wo Vybz aufgewachsen ist, herrscht teilweise Krieg und ein Überlebenskampf, bei dem es darum geht, ob man heute oder morgen etwas zu essen kriegt. Kartel ist brutal intelligent und hat mit einem Autor ein Buch über die Missstände auf Jamaika geschrieben. Er sagt, was er denkt und hat massiv gegen die Politik gekämpft, auch mit seinen Texten. Weil er so lyrisch war und durch seine variierenden Styles hat er auch so viele Leute erreicht.
Um so weniger darf man töten.
Das stimmt, aber warte, jetzt kommen wir auf den Murder-Trail zurück: Als Bob Marley sich damals politisch geäußert hat, ist er am nächsten Tag in seinem Haus angeschossen worden – zehn Mal. Vybz kann man nicht so leicht wegräumen, weil er Mitglied einer der größten Gangs drüben ist. Aber man kann ihn einsperren. Meiner Meinung nach ist er unschuldig. Er ist sicher kein Guter, aber das kann man dort drüben nicht wirklich sein, weil es ein Überlebenskampf ist.
Wie emotional Sie da plötzlich werden.
Ich verstehe ja, dass man sich rechtfertigen muss, wenn man das so fanatisch hört, wie ich. Nehmen wir einmal „187 Strassenbande“ – das ist das Maß aller Dinge in Sachen Deutschrap derzeit. Das ist nicht mein Ding. Kennst du die Band?
123 Straßenbahn? Nein.
187 Strassenbande. Das ist eigentlich der Polizeicode für Mord in Amerika. Damit fängt es an. Die Band hat seit drei Jahren Erfolg und kommt aus Hamburg. Die sehen jetzt, dass sie mit solchen Sachen Geld verdienen können. Wenn die jetzt singen würden „Alles ist so schön“, kriegen sie nur 20.000 Likes und haben nix davon.
Na ja, aber die Kinder, die das hören ...
Das ist Aufgabe der Eltern. Kinder müssen von Anfang an wissen, was soziale Werte sind: Dass ich eine Frau mit Respekt behandle, mir nicht jedes Wochenende was einwerfe oder mich wegsaufe. Ich verurteile solche Lieder, aber man muss sie sehen wie einen Film. Als ich 13 Jahre alt war, hatte ich Zugang zu Horrorfilmen – wie viele Kinder. Damals ist „Saw“ rausgekommen, wo der Reihe nach Leute umgebracht werden. So muss man das einordnen, wie einen Film, auch wenn ich gewisse Songs massiv kritisiere.
Vor einem Rennen hören Sie nicht „187 Strassenbande“, sondern – lassen Sie mich raten: Reggae!
Ja, weil ich mich mit der Musik gut steuern kann. Wenn ich zu müde fürs Trainieren bin, brauche ich zwei Lieder und bin wieder da. Das Gleiche gilt fürs Runterkommen. Dann höre ich einen Roots (Anm.: von den spirituellen Ideen der Rastafari-Bewegung geprägter Reggae) und bin entspannt. Das ist für mich wie Meditation.
Noch zweieinhalb Monate bis zum Weltcup-Auftakt in Sölden. Vorfreude?
Momentan bin ich froh, dass ich nur selten Schnee sehen muss. Vor kurzem haben wir aber in der Skihalle in Hamburg trainiert. Das Schlimmste sind immer die Skischuhe. Demnächst geht es auch zum Training nach Neuseeland. Mein erster Gedanke ist jedes Jahr: Mah, jetzt geht’s wieder los! Aber ab dem zweiten Tag ist das Winter-Feeling wieder zurück.
Was möchten Sie, dass die Menschen aus diesem Gespräch mitnehmen?
Ich möchte das Gespräch mit einer Textzeile aus dem Reggae abschließen: „What do you know if you learn everyday. So be careful a things weh you say“. (Anm.: „Who knows“ von Protoje) Das passt ganz gut, zum Thema, über das wir vorher gesprochen haben. Dass man Dinge nicht auf den ersten Blick verurteilen, sondern sich Gedanken darüber machen sollte.
Dann wünsche ich Ihnen noch Peace und Love. Apropos: Sind Sie vergeben?
Derzeit nicht. Das ist nicht so einfach in unserem Job.
Marcel Hirscher zeigt vor, wie’s geht. Hochzeit, Nachwuchs im Anmarsch ...
Er hat es sich so gerichtet, dass es zu handlen ist. Bei mir ist das momentan schwer unterzukriegen. Aber das soll nix heißen. Ich bin zwar nicht auf der Suche, aber für alles offen.
AUSNAHME-ATHLET
Manuel Feller, 25, wurde 1992 in St. Johann in Tirol geboren. Mit zehn Jahren beschloss er, Skifahrer zu werden und wechselte in die Internatsschule für Skisportler nach Stams. Sein Weltcup-Debüt feierte der begeisterte Reggae-Fan am 11. November 2012, vergangene Saison belegte er im Riesentorlauf-Weltcup Platz vier, im Slalom, seiner zweiten Disziplin, aufgrund vieler Ausfälle nur Platz 17. „Man muss das nüchtern analysieren, mit dem Trainer besprechen und für das weitere Training ein Konzept entwickeln“, sagt Feller dazu. Seinen bisher größten Erfolg feierte er 2017 als Slalom-Vizeweltmeister in St. Moritz. 2018 holte er in Pyeongchang Olympia-Silber mit der Mannschaft. Feller hat einen jüngeren Bruder, der gemeinsam mit der Mutter eine Hütte bewirtschaftet. Er ist derzeit Single.
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