Sextoys: "Die Österreicher sind einen Tick lockerer als die Deutschen"
Von Gabriele Kuhn
Intimketten, Dildos, Paarvibratoren bestimmen den beruflichen Alltag von Lea-Sophie Cramer (32). Die Berlinerin gründete im Jahr 2013 – gemeinsam mit Sebastian Pollok – den Online-Versand und Sextoy-Hersteller „Amorelie“. Die Mutter zweier Kinder wurde in Deutschland als „Vorbild-Unternehmerin“ ausgezeichnet und vom US-amerikanischen Magazin Forbes in die „30 unter 30-Europa-Liste“ aufgenommen. Sie erzählt, warum Frauen beim Orgasmus nachhelfen müssen, in ihrer Firma montags Liebesspielzeug-Tänze stattfinden und was die Österreicher von Sextoys halten.
freizeit: Wie kommt man überhaupt auf die Idee, einen Online-Shop für Erotik-Lifestyle-Produkte zu gründen?
Lea-Sophie Cramer: Als ich im Jahr 2013 damit begonnen habe, gab es in diesem Bereich nicht so viel. Die Sex-Shops waren nicht online oder aber in irgendwelchen Bahnhofsgassen, mit Vorhängen und Kabinen. Das hatte so einen Schmuddeltouch. So machte es keinen Spaß fürs Liebesleben zu shoppen. Gleichzeitig habe ich gelesen, dass es für solche Produkte ein großes Interesse gibt – aber sich viele genieren, sie zu kaufen. Da war klar, dass wir das anders machen müssen – mit anderen Produkten und einem anderen Marketing sowie anderen Zielgruppen. Und vor allem online. Denn da kannst du endlich in aller Ruhe nach Sextoys suchen, ohne dass dich wer anspricht oder sieht, was du kaufst.
Am 25. Oktober wäre Beate Uhse 100 Jahre alt geworden, sie gilt als Pionierin der Sexshop-Branche, Mutter Courage des Tabubruchs und als eine der einflussreichsten Geschäftsfrauen Deutschlands. Ist sie ein Vorbild?
Absolut! Auch deshalb, weil sie in einer ganz anderen Zeit lebte und viel mehr mit gesellschaftlicher Ausgrenzung zu kämpfen hatte, als ich das je erlebt habe. Sie war eine unglaublich autonome Frau mit einer unfassbaren Lebensgeschichte. Wäre sie noch da, hätte sie ihr Geschäft wohl anders weitergeführt.
Das Unternehmen Beate Uhse musste aber im Sommer erneut Insolvenz anmelden. Was lief da falsch?
Die traditionellen Händler haben sowohl den Einstieg ins Digitalgeschäft als auch die Zielgruppe Frau verpasst. Bei Beate Uhse hat alles mit Aufklärungsbroschüren für Frauen begonnen, so erarbeitete sie sich ihr Startkapital. Das ging verloren, der Mann ist in den Vordergrund gerückt, die Sexualität wurde männlich-optimiert dargestellt. Das Geschäft mit Pornos wurde wichtig, das ging mit dem Internet kaputt. Es gelang jedoch nicht, eine neue, weibliche Zielgruppe aufzubauen. Frauen sind aber heute die Entscheidungsträger. Sie bestimmen, ob ein Sexartikel genutzt wird. Da spielt natürlich mit, dass es für die Frau immer noch schwieriger ist, einen Orgasmus zu erleben als für den Mann. Sie muss meist nachhelfen.
Was ist denn in Ihrem Unternehmen anders als bei traditionellen Sex-Shops?
Abgesehen von der weiblichen Zielgruppe und der Digitalisierung haben wir anders verkauft. Wir haben nicht angenommen, dass Kunden den Unterschied zwischen Vibrator und Dildo automatisch kennen. Es gibt viel Unwissen, darauf sind wir eingegangen. Viele Paare sagen, sie würden gerne etwas für ihr Liebesleben kaufen, wissen aber nicht, was ein Penisring ist oder wie ein Paarvibrator funktioniert. Dafür haben wir Experten, die das für die Kunden zusammenstellen. Wir verkaufen nicht DEN Vibrator oder DEN Dildo, sondern Einsteigerboxen. Wir versuchten etwas zu erschaffen, das Leichtigkeit hat – eine spielerische Komponente und gleichzeitig durch unser Produkt-Portfolio führt. Ohne erhobenen Zeigefinger. Wir sind ein bisschen wie die beste Freundin.
Was ist das bestgehende Produkt?
Absolut betrachtet, ist es unser erotischer Adventkalender. Von den Einzelprodukten geht der Womanizer (Anm.: ein Vibrator mit einer speziellen Technologie) sehr gut, weil er vielen Frauen, die Schwierigkeiten haben, zum Orgasmus zu kommen, hilft. 98 Prozent der Frauen sagen, dass sie damit innerhalb von fünf Minuten einen Höhepunkt erleben. Das ist doch supergut. Und dann sind es Paarvibratoren – Toys, die man gemeinsam nutzt. Das ist das Spielerische, man macht was gemeinsam.
Ihr Erotik-Adventkalender erscheint heuer in drei Versionen, dafür haben Sie mit der österreichischen Designerin Marina Hoermanseder zusammengearbeitet. Advent und Sex – wie geht das zusammen?
Naja, ich hatte immer einen Müslikalender, da wusste ich nach Tag 6: Da ist wieder ein Müsli drin, war nur die Frage, ob Banane oder Schoko. Bei uns ist täglich ein neues Produkt drin. Außerdem macht er den Einstieg für die Kunden leichter: Mensch, ich kaufe gar kein Liebessspielzeug, sondern einen Adventkalender! Ja und dann ist es früh dunkel, man verbringt mehr Zeit daheim – eine tolle Gelegenheit, einander nahe zu sein.
Gibt es bei Ihnen so etwas wie Sexspielzeug-Brainstormings?
Ja, klar, viele, sogar sehr viele (lacht). Unsere Mitarbeiter sind mittlerweile die treuesten Kunden. Wir haben da so einen Kreis, der ist in einem Testerprogramm drin. Alle neuen Sachen, die wir bekommen, werden da getestet. Die meisten unserer Produkte, zirka 70 Prozent, entwickeln wir im eigenen Haus – mit eigenen Produktdesignern.
Sie tanzen bei Meetings, lese ich ...
Ja, es gibt jeden Montag einen Wake-up-Dance. Wir sind ein junges Team, da sind früher alle am Wochenende ausgegangen und kamen am Montag kaputt ins Büro. Deshalb haben wir überlegt, wie wir mehr Power reinbekommen, zugleich ging es darum, Hemmungen abzubauen, um mit diesen Produkten zu arbeiten. Da haben wir den Wake-up-Dance erfunden und tanzen zu House-Musik verschiedene Funktionen von Liebesspielzeug. Irre.
Das heißt, Sie haben auch schon ein Liebesspielzeug getanzt …
Klar, 40 oder 50 Mal (lacht) schon. Wir alle haben das schon gemacht – von der Analkette bis zu den Liebeskugeln oder den Vibrator, der nach vorne und hinten vibriert, habe ich alles getanzt. Man könnte es als Crossfit-Übung betrachten.
Welches Sextoy gehört noch erfunden?
Womit wir uns gerade beschäftigen, sind Toys, die elektrische Impulse leiten können, sodass ein Kitzeln und Prickeln entsteht. Da wird noch viel passieren. Und ich glaube, dass das Thema Stimulationsgele noch nicht angegangen wurde. Es gibt viele Gele, die kühlen oder wärmen, prickeln, die dich schneller zum Orgasmus kommen lassen, weil sie stimulieren oder dich länger durchhalten lassen. Da wird sich viel entwickeln.
Sie haben täglich mit Sex zu tun. Wie sehr färbt das denn ab?
Klar, da stellt sich die Frage, hat man selbst noch ein Liebesleben? Nun, das muss man klar trennen, denn am Ende ist es nur ein Business, das zur Routine wird und zur Normalität. Es ist kaum anders, als würde man Mode verkaufen, allerdings ist es tausend Mal witziger.
Kennen Sie das sexuelle Profil der Österreicher – aus der Marktanalyse?
Die Österreicher sind einen Tick lockerer als die Deutschen. Das sieht man auch am Kaufverhalten. Sie sind eher bereit, etwas zu probieren und zu kaufen. Und sie sind bereit, für gute Qualität Geld auszugeben, während die Deutschen viel stärker auf den Preis achten und wo sie den besten Deal bekommen.
Sie veranstalten Sextoy-Partys. Wie läuft das denn genau ab?
Das ist ähnlich wie eine Tupperware-Party, aber viel intensiver. Es fließt mehr Sekt. Dann wird herumprobiert, etwa mit Liebesgels. Da geht jeder auf die Toilette und experimentiert. Danach erzählen alle, wie sich das anfühlt, ob es kühlt oder prickelt. Das ist oft sehr komisch und superwitzig.
Sie haben zwei kleine Kinder (2 und 4). Vorausgesetzt, Sie sind dann immer noch im Erotik-Business: Was sagen Sie, wenn Ihre Kinder eines Tages fragen: Mama, was arbeitest du denn?
Bei uns arbeiten viele Menschen, die Kinder haben. Die meisten sagen, dass sie Spielzeug für Erwachsene machen. Das verstehen die Kinder, da wird meist gar nicht viel nachgefragt. Prinzipiell halte ich es jedoch für wichtig, das Thema nicht zu tabuisieren, sondern zu sagen: Sexualität ist Teil unseres Lebens. Man muss daraus kein großes Ding machen. Was Liebesspielzeug betrifft, sollte man sagen: „Pass auf, das ist für Erwachsene – und nichts für Teenager.“ Viel wichtiger in dem Alter sind Kondome.
Sie sind jetzt 32 Jahre alt – wie sieht der Sex in 32 Jahren aus?
Gute Frage. Was ich auf jeden Fall beruhigend finde, ist, dass Sex mit dem Alter nicht weniger werden muss. Im Gegenteil: Er kann besser werden, weil man ehrlicher wird. Der Markt wächst nach wie vor, wir sehen, dass die Menschen immer noch aufgeschlossener werden. Ich würde mir wünschen, dass Liebesspielzeug etwas Selbstverständliches wird. Man kann es nützen oder auch nicht – je nach Lust und Laune. Wir bekommen so viele Mails von Frauen, die über 30 Jahre alt sind, noch nie einen Orgasmus hatten und uns dann schreiben: Ich kann es nicht fassen, ich habe ein Produkt von euch verwendet und hatte das erste Mal in meinem Leben einen Höhepunkt. Da frage ich mich schon, warum man 30 Jahre alt werden musste, um das zu erleben. Das sollte in Zukunft einfach nicht mehr so sein müssen.
Werden wir je Geschlechtsverkehr mit Robotern haben?
Das sehe ich nicht. Sextoys sind ja bereits etwas Zusätzliches, Künstliches, Externes und Nicht-Natürliches. Aber sie sind eine Ergänzung und eine Bereicherung. Ich glaube nicht, dass Roboter je etwas auf diesem Gebiet ersetzen können und der Mensch aus dieser Gleichung herausgenommen wird. Sex wird immer hautnah und emotional bleiben.
Am Anfang war der Vibrator
Als mysteriös galten die nervösen Zustände und die Reizbarkeit mancher Damen im viktorianischen England, auch Hysterie genannt. Ein junger Arzt namens Joseph Mortimer Granville löst das Dilemma mit medizinischer Handarbeit, gerät dabei allerdings an seine Grenzen. Also denkt er sich das Vorläufermodell des modernen Vibrators aus – den so genannten „Granville Hammer“, „Percuteur“ genannt. Das war 1870, der Rest ist Geschichte. Hi-Tech- Vibratoren boomen, sie beglücken heute mit Druckwellen oder mit Unterdruck.
ORGASMUS- UND UMSATZWUNDER
„Womanizer“ heißt eines der erfolgreichsten Sextoys für Frauen – mit dem Vibrator wurden alleine im Jahr 2018 50 Millionen Euro umgesetzt.
TRENDS & ZAHLEN
- Laut Amorelie-Bericht zum Sex- und Liebesleben 2019 nutzt fast die Hälfte der befragten Frauen einen Vibrator – Tendenz weiter steigend.
- Glaubt man der Trend-Prognose des Porno-Portals „xHamster“, sind Frauen der Wachstumsmarkt im Porno-Business. Wie bereits im Vorjahr wird ein starker Anstieg an weiblichen Konsumenten weltweit prognostiziert – Frauen werden voraussichtlich einen Anteil von über 30 Prozent der Nutzer erreichen. Die Kategorie „Porn for Women“ stieg zuletzt um fast 284 Prozent.
- Zu den größten Online-Shops der Welt gehört laut Statistik übrigens Eis.de – mit 130,9 Millionen Umsatz jährlich liegt das Unternehmen im Marktsegment Erotik ganz vorne.