Streicheln statt Turnen
Von Gabriele Kuhn
Zum Thema Sex im Alter ist schon vieles geschrieben worden – auch an dieser Stelle. Das ist gut und wichtig, denn eines ist klar: Es ist kein fesches Thema und wird gerne verschwiegen. Wer Sex sagt, verbindet damit hauptsächlich das omnipräsente Bild des „Forever-young“. Wer Sex sagt, meint: knackige Ärsche, pralle Brüste, makellose Haut, Spannkraft, Muskeln. Und all das verbrämt mit Wörtern wie „dauergeil“, „superpotent“ – allzeit bereit. Welke Haut und graues Haar passen da nicht ins Bild. Daher denkt, wer jung ist, gar nicht daran, dass Dinge sich verändern könnten. Das wird verdrängt. Für viele hört „das mit dem Sex“ – in die ferne Zukunft gedacht – einfach auf. Und das beginnt schon mit der Vorstellung, dass die eigenen Eltern womöglich noch ... – absurd. Wenn es um den Sex der Älteren geht, poppen vor allem Begriffe wie „Zärtlichkeit“ oder „Kuscheln“ auf. Das geht gerade noch, dieses Bild von Omi und Opi, wie sie einander lieb den Rücken kraulen. Mehr – nein, danke. Nur die wenigsten möchten (oder können) sich vorstellen, dass zwei jenseits der 70 übereinander herfallen. Mitunter auch die Betroffenen selbst nicht. Es ist unfair und dumm, Menschen jenseits einer bestimmten Altersgrenze das Lustprinzip streitig zu machen. Aber freilich – um ein Massenphänomen wird sich’s nicht handeln. Das ist schon alleine aus der Biografie heraus unmöglich. Sogar Mick Jagger hat etwas zum Thema gesagt: „Wenn man jung ist, denkt man, dass man seine Zeit verschwendet, wenn man keinen Sex hat. Wenn man jedoch älter wird, merkt man, dass alles seine Zeit und seinen Platz hat.“ Die Erotik wird gelassener, aber nicht zwingend „schlechter“. Was auch die Forschung bestätigt: Erst vor kurzem berichtete die Medizinsoziologin Britta Müller von der Universität Rostock, dass 91 Prozent der 74-jährigen Männer und 81 Prozent der gleichaltrigen Frauen Zärtlichkeit einen wichtigen Platz in ihren Partnerschaften einräumen. Sex spielte bei 61 Prozent der Männer und 21 Prozent der Frauen eine bedeutende Rolle. Die Befragten lebten über den gesamten Studienverlauf hinweg in stabilen Partnerschaften. Müllers Fazit: „Viele alternde Paare suchen durch Streicheln, Schmusen und Kuscheln dem wachsenden Bedürfnis gerecht zu werden, sich der gegenseitigen körperlichen Nähe zu versichern.“ Jedenfalls erfreulich: Die Teilnehmer zeigten über die gesamte Zeit stabile sexuelle Zufriedenheitswerte, obwohl sich die sexuelle Aktivität mit dem Alter als Folge hormoneller und physischer Veränderungen verringerte. Dass sich das sexuelle Empfinden und auch das Begehren mit der Zeit verändern, ist logisch. Nur kein Druck: Man muss mit 75 nicht so tun, als sei man 40. Doch eines ist klar: Ganz ohne Körperlichkeit ist’s auch nicht so fein. Im Gegenteil: Sexualität – in welcher Form auch immer – kann gerade im Spätherbst des Lebens eine wichtige Kraftquelle sein. Hürden gibt’s: Es zwickt da, es zwickt dort – das Herz hüpft nicht mehr so wie es soll, steif sind vor allem die Gelenke. Und: Hormone haben die Libido (vor allem der Frau) verändert. Und trotzdem bin ich davon überzeugt, dass befriedigender Sex ein enormer Jungbrunnen sein kann, der auf die Seele und den Körper wie ein Booster wirkt.