Seilers Gehen: Wallfahrt in die Wirtshäuser
Von Christian Seiler
Es gibt Leute, die gehen zu Fuß nach Mariazell oder nach Santiago de Compostela, weil sie mit ihren Schritten Wünsche an höhere Mächte verknüpfen oder sich bei diesen für bereits geleistete Dienste bedanken wollen. Man nennt das Wallfahrten, und ich selbst hatte einmal den Plan, mich auf meinen persönlichen Jakobsweg zu machen, weil ich meinen Freund Jakob in Südfrankreich besuchen wollte, zu Fuß, was sich aber dann – von Wien aus gesehen – doch als ein bisschen weit herausstellte. Ich teile die lange, nicht gegangene Strecke seither in Etappen auf, die ich täglich zurücklege, ohne mich in Summe zu weit von zu Hause zu entfernen.
Meine heutige Wanderung ist gleichwohl eine Art Wallfahrt. Sie gilt der lang ersehnten Öffnung der Wirtshäuser, und natürlich führt sie mich von einem Wirtshaus ins nächste, weil ich mir nämlich vorgenommen habe, das Erleben der Gastlichkeit in ihrer herzlichsten Ausprägung so bald wie möglich und so oft wie möglich zu inhalieren, an der Budel frisch gezapftes Bier zu trinken, mir eine Flasche großartigen Weißweins empfehlen zu lassen und die Verantwortung für alles andere – was ich esse, wie viel ich esse, was wozu passt, womit die Mahlzeit sich idealerweise beenden lässt – den Wirten zu überlassen. Ich habe mich jetzt lang genug zu Hause mit diesen Fragen herumgeschlagen.
Rumsitzen, schmähführen, genießen
Mein Weg beginnt am Bahnhof in Langenlebarn. Dort komme ich um 11.47 mit dem Lunchexpress aus Wien Heiligenstadt an, marschiere von der Haltestelle über die Bahngasse, die Dreifaltigkeitsgasse und die Kirchengasse zum Gasthaus Floh, wo ich im Donaugartl einen Platz bekomme, mir die Sonne auf die Birne scheinen lasse und, weil die Wirtshäuser eh viel zu lange zu hatten, einen Riesling von der Nahe bestelle, der interessanterweise den Begriff „Höllenpfad“ im Namen trägt, bevor ich mit allerhand behutsam zubereiteten Köstlichkeiten meinen ärgsten Hunger stille.
Ein bisschen rumsitzen, ein bisschen schmähführen, ein bisschen all das einatmen, was wir Wirtshausgänger so lange vermisst haben, und am angebrochenen Nachmittag aufstehen und nach Tulln gehen. So funktioniert das: Bei Flohs Anlegestelle den Damm besteigen und auf dem Treppelweg nach links abbiegen. Dort, wo die nächste Brücke die Donau überspannt, ist Tulln.
Es ist ein wunderbarer Weg, brettleben, mehr oder weniger geradeaus, Blick in die Auen, auf die Stelzenhäuser, den Yachthafen und das wunderschöne Aubad, bevor ich nach einer knappen Stunde in Tulln bin, einem Angler beim Meditieren zuschaue, die Marc-Aurel-Statue begutachte und vor der Donaubühne mit einem Espresso vom Standl nebenan den Mai genieße.
Gegen sechs breche ich wieder auf und steuere die Bahnhofstraße 48 an, das Gasthaus Sodoma, das Gasthaus, an das ich zuallererst denke, wenn ich an Gasthäuser denke, und ich überlasse den Wirten – wie ihr mir gefehlt habt – jede Entscheidung, außer: die Grammelknöderl zur Vorspeise müssen es sein.
Mein Herz ist froh von der Wirtshauswanderung, als ich um halb elf zum Tullner Bahnhof gehe, um den Dinnerexpress nach Hause zu erwischen.
Langenlebarn Bahnhof – Bahngasse – Dreifaltigkeitsgasse – Kirchengasse – Gastwirtschaft Floh – Treppelweg – Donaubühne Tulln – Donaulände – Karl-Mertzgasse – Beim Heisselgarten – Bahnhofstrasse – Gasthaus Sodoma – Bahnhofstrasse – Bahnhof Tulln: 11.000 Schritte