Leben

Emotionen im Visier

Eines der letzten Geheimnisse ist bereits fast Vergangenheit, unser emotionales Erleben. Eine App der Google-Datenbrille kann Gefühle erkennen. Der praktische Umgang mit Emotionen im Alltag wird in den nächsten Jahren einen extrem hohen, ziemlich ernüchternden Stellenwert bekommen. Das Emotions-Tracking im täglichen Leben, das unsere emotionalen Empfindungen analysiert, wird schon längst im Auto praktiziert: Hautsensoren erkennen Anzeichen von gefährlicher Müdigkeit, das kleine Kaffeehäferl-Licht fängt zu blinken an, es ist Zeit für eine Pause. Im Auto der Zukunft werden auch immer mehr intelligente Biofeedback-Systeme eingebaut sein, Kameras erkennen dann mittels eines Gesichtserkennungsprogramms unsere physiologischen Veränderungen. Feinste Muskelbewegungen in unserem Gesicht finden in mehr als 10.000 Kombinationen statt. Der rollende Computer reagiert auf die Gefühlsregungen, die sich gerade in unserem Gesicht widerspiegeln. Sobald die Messung von Aufregung und Wut einen zu hohen Pegel erreicht hat, wird besänftigende Musik eingespielt. Wenn wir dann im Stau aus dem Auto des Nachbarn Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertes Klavier hören, wissen wir Bescheid …

Und auch in der Kommunikation wird sich schon bald einiges ändern: Nachdem die Tastatur der Zukunft unsere momentanen Emotionen erkannt hat, wird uns der Computer davor warnen, wütende E-Mails oder böse, unüberlegte Kommentare beim Chatten, die wir Sekunden später schon bereuen, hinauszujagen. Forscher der „University of Engineering and Technology“ in Dhaka, Bangladesch, haben einen Algorithmus, ein Schema, entwickelt, das Emotionen schon während des Tippens auf der Tastatur erkennt. Die Wissenschaftler konnten bei Probanden bereits in mehr als 80 Prozent der Fälle Ärger korrekt erkennen. In Zukunft wird möglicherweise eine intelligente Tastatur, die es gut mit uns meint, eine kleine Pause vorschlagen, bis Ärger und Wut verraucht sind. Das Leben könnte angenehmer werden, wenn nicht bei
jeder Nachricht unser momentaner Gefühlszustand mitgeschickt wird. Und wenn in Zukunft Gesprächspartner durch Sensoren die emotionale Reaktion ihres Gegenübers messen können, wird der Umgang miteinander harmonischer werden.

Tragbare Geräte werden in Zukunft nicht nur unsere Fitness-Leistungen oder Schlafgewohnheiten aufzeichnen, sondern auch Emotionen – der wahrscheinlich rätselhafteste Teil unserer Persönlichkeit, der lange Zeit als diffus und nicht messbar galt. An der Universität Genf arbeitet man bereits an einem Helm, der Wünsche errät. Zum Beispiel, wohin wir auf Urlaub fahren wollen: Mittels Elektroden wird die Hirnaktivität gemessen und beim Abspielen eines Videos erkannt, bei welcher Umgebung man emotional am stärksten reagiert. Ein Gerät, das durch die Erfassung des eigenen Gemütszustandes bei Entscheidungen helfen kann.

Emotionale Reaktionen zu erfassen, ist längst kein Problem mehr. Doch zwischen verschiedenen Gefühlsregungen zu unterscheiden, wird weiterhin extrem schwierig bleiben, „Emotionsmessungen werden immer Grenzen haben und eher undifferenziert erfasst“, meint der Genfer Psychologe Marcello Mortillaro. Denn die Vorgänge, die an der Auslösung von Gefühlen beteiligt sind, seien zu komplex. „Selbst die fünf universellen Gesichtsausdrücke, die bereits durch Software erkannt werden können – Trauer, Freude, Wut, Ekel und Überraschung – zeigt der Mensch im Alltag nicht deutlich. Zumeist zeigen sie sich subtil oder von anderen Ausdrücken überlagert“.
Dass die Vermessung unserer Gefühle Grenzen hat, ist eine erfreuliche Nachricht. Danke, Marcello Mortillaro.

michael.horowitz@kurier.at