Der Unbestechliche
Von Bernhard Praschl
Unvergessen seine Rilke-Rezitationen, unübertroffen seine Ergriffenheit auf der Bühne, unsterblich seine Filme. Oskar Werner ist und bleibt ein einzigartiges Ereignis – für Alt und Jung. „Bei der aktuellen Retrospektive waren schon eine 93-Jährige, die mit ihm in die gleiche Volksschule gegangen ist“, sagt Kurator Raimund Fritz vom Filmarchiv Austria, „ebenso Sechzehnjährige, die von seinen Filmen genauso fasziniert sind.“ Oskar Werner, der Publikumsmagnet. Bei der breit angelegten Schau im Metro-Kinokulturhaus in der Wiener Johannesgasse sind Schätze wie die Beethoven-Bio „Eroica“ oder die legendäre „Columbo“-Episode „Playback“ zu sehen, in der ein sonst so kunstsinniger Oskar Werner in der Rolle des getriebenen Technikfreaks überzeugt. Natürlich auch die zwei Regiearbeiten von Nouvelle-Vague-Mitbegründer François Truffaut, mit denen sein Platz im Kino-Olymp für immer gesichert sein sollte: die Dreiecksgeschichte „Jules und Jim“ (1962) mit Jeanne Moreau und Henri Serre sowie die Verfilmung des Ray-Bradbury-Klassikers „Fahrenheit 451“ mit Julie Christie. So weit, so bekannt. Neu hingegen ist, dass Oskar Werners Filmkarriere gegen Ende der 1940er-Jahre nicht kometenhaft abhob, sondern durch mehrere Komparsenauftritte bereits 1938 vorbereitet wurde.
OSKAR WERNER Seine Filme Raimund Fritz (Hg.) 584 Seiten verlag filmarchiv austria 39,90€
Vom ersten gesprochenen Satz in „Geld fällt vom Himmel“ bis zu seinem Einsatz bei einer Massenszene in „Ein Leben lang“ (1940) finden sich zehn Engagements, von denen selbst Oskar-Werner-Kenner nichts wussten. Im zur Retrospektive aufgelegten, reichhaltig bebilderten und fast 600 Seiten umfassenden Band „Oskar Werner. Seine Filme“ mutmaßt Herausgeber Raimund Fritz: „Zehn Filme in einem Zeitraum von 22 Monaten, noch dazu mit hochkarätigen Darstellern, sind auf Werner, der bereits im Alter von elf Jahren beschlossen hatte, Schauspieler zu werden, wahrscheinlich nicht ohne Einfluss geblieben.“ Aufmerksam auf diese, durch verwandtschaftliche Bande ermöglichte Beschäftigung – Onkel Franz Zelta war Beleuchter bei der Sascha-Film – wurde Raimund Fritz bei Durchsicht des Nachlasses des Künstlers: „Über drei Jahre lang durften wir bei seinen Erben Eleonore und Felix Werner sichten, was er alles hinterlassen hat.“ In Liechtenstein, seinem Zweitwohnsitz, fanden sich in einem dicken Bene-Ordner penibel abgeheftet auch Dokumente und Korrespondenzen aus seiner Anfangszeit als Schauspieler. So eröffneten sich für das Filmarchiv Austria auch neue Perspektiven, um die allerersten Schritte einer Weltkarriere zu beleuchten. Aber nicht nur das. Selbst 30 Jahre nach Oskar Werners frühem Tod im Oktober 1984 birgt eine Liste besonderen Reiz – jene seiner abgelehnten Filmprojekte. Mehr als 300 Filmangebote soll er zurückgewiesen haben, unter anderen von den Regisseuren Sydney Pollack und Stanley Kubrick, auch von Produzent Dino De Laurentiis. Nach 1968 drehte Werner nur noch zwei Filme, eine Episode von „Columbo“ (1975) und das Kriegsdrama „Die Reise der Verdammten“ (1976). Bald danach bemühte sich Louis Malle um ihn. Der französische Regisseur wollte den Wiener für seinen ersten US-Film, „Pretty Baby“, besetzen. Die Pläne zerschlugen sich, statt Oskar Werner erhielt Keith Carradine die Rolle jenes Fotografen, der sich um das Jahr 1900 in einem Bordell in New Orleans in die junge Violet (Brooke Shields) verliebt. Kein Problem für den Routinier. Er quittierte die Absage mit: „You are right ... The story is not my cup of tea.“ Die passende Gelegenheit, sich in Erinnerung zu rufen, mit welchen Worten der Gigant der leisen Worte in „Das Narrenschiff“ (1965) an den unter anderen mit Vivian Leigh, Lee Marvin und José Ferrer besetzten Tisch tritt: „Bitte, lassen Sie sich durch mich nicht stören.“
Die Filme. Zum Glück gibt es die noch. Denn von Oskar Werner als Bühnen-Schauspieler existiert nur eine einzige Aufnahme – in Goethes „Torquato Tasso“ auf einer Deutschland-Tournee im Jahr 1963. Oskar Werner sagte immer: „Mit dem Theater bin ich verheiratet, der Film ist meine Geliebte.“ So gesehen, ist es nachvollziehbar, dass der am 13. November 1922 in Wien-Gumpendorf als Oskar Josef Bschließmayer geborene Schauspieler nicht nur auf den Bühnen der Wiener Burg und des Schauspielhaus Zürich Geschichte schreiben wollte, sondern in der ganzen Welt. Wäre es nach ihm gegangen, meint Filmwissenschaftler Raimund Fritz, „hätte sein Durchbruch in Hollywood möglicherweise nie stattgefunden“. Klassiker wie „Das Narrenschiff“, „Der Spion, der aus der Kälte kam“ und „Fahrenheit 451“ wären ohne den Star aus Österreich entstanden. „Denn“, so Fritz, „für 1964 hatte der gefeierte Theaterschauspieler ganz andere Pläne: Aus Anlass des 400. Geburtstages von William Shakespeare wollte Werner mit seinem Ensemble eine weitere Tournee in Angriff nehmen, bei der ,Hamlet’ und ,Romeo und Julia’ auf dem Spielplan stehen sollten.“ Auftritte nicht nur in Europa waren geplant, sondern auch in den USA. Für den Romeo-Gegenpart hatte er Romy Schneider im Sinn. Aber es kam anders. Der „Sissi“-Star, der zu jener Zeit zwischen einer Affäre mit Alain Delon und einer eigenen US-Karriere gefangen war, sagte ab, „als wir alles zusammenhatten“. (Oskar Werner). Der Schauspieler weiter dazu: „Ich weiß nicht, warum. Vielleicht hat sie Angst bekommen. Vielleicht ist sie größenwahnsinnig. Ich wollte dann nicht mehr. Es gibt nur wenige Schauspielerinnen, die die richtige Ausstrahlung für die Julia haben. Romy hätte sie nach meiner Meinung.“