Natalia Ushakova über den richtigen Ton
Von Barbara Reiter
freizeit: Natalia, du trägst heute Sari. Hat das einen besonderen Grund?
Natalia Ushakova: Ich habe mich heute einfach nach dieser Farbe gefühlt. Er ist von Jil Sander und zu 100 Prozent aus Seide. Orange ist die Farbe der tibetischen Mönche und bedeutet eine Verbindung mit Gott und dem Universum. Jede Farbe hat ihre eigene Bedeutung.
Was bedeutet es, wenn Menschen sich gerne schwarz kleiden?
Natürlich kann es einfach ein Ausdruck von Mode sein. Generell wirkt Schwarz aber schützend. Wenn dir die innere Stimme sagt, dass du dich schwarz kleiden willst, heißt das oft, dass man wenig Energie hat und Schutz braucht. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Rot signalisiert, dass ein Mensch Aufmerksamkeit möchte. Auf Russisch sagt man: „Einen roten Dummkopf sieht man von Weitem.“ Trägst du Rot, schaut dich jeder an.
Ich habe mich heute nach Blau gefühlt. Was bedeutet das?
Blau steht für ruhig und ausgeglichen. Das ist sehr positiv. Die Heilige Maria hat immer Blau getragen. Das sind reine Menschen. Das sieht man an deinen Augen.
Oh, vielen Dank. Bist du ein spiritueller Mensch, weil du dich für solche Dinge interessierst?
Ich weiß nicht, ob ich spirituell bin. Ich will nur ein guter Mensch sein und mich und andere glücklich machen. Wir Künstler sind sehr sensibel. Wenn du es nicht bist, bist du ein schlechter Künstler. Wenn ich zum Beispiel bei einem Konzert merke, dass das Publikum schläfrig ist, gebe ich mehr Energie. Ich kann Energien sehr gut spüren. Auch bei Gegenständen.
Was ist mit einer Kaffeetasse von Ikea?
Es müssen schon Gegenstände mit Seele sein, wobei auch eine Ikea-Tasse mit Liebe gemacht sein kann. Ich frühstücke zum Beispiel sehr gerne mit schönem Geschirr vom Flohmarkt. Wenn eine alte Tasse von einem Maler vor vielen Jahren mit viel Herzblut verziert wurde, spüre ich diese wunderbare Energie noch heute.
Eine tolle Gabe. Bei Räumen kann ich gut nachvollziehen, was du meinst.
Wenn ich in Häuser gehe, spüre ich die Atmosphäre: von traurig bis freudig. So geht es mir auch bei Kleidungsstücken. Ich habe ein Kleid, das 120 Jahre alt ist. Es ist ein schwarzes Samtkleid aus dem Mariinsky Theater in St. Petersburg, das ich von einer tollen russischen Sopranistin geschenkt bekommen habe. Es stammt aus einer La-Traviata-Produktion. Wenn ich es anziehe, bin ich aufgeregt, spüre Freude, Stolz und Trauer zugleich. Die ganze Palette eben.
Du wolltest angeblich schon als Sechsjährige Koloratursängerin werden. Ungewöhnlich, dass ein kleines Kind so ein Wort überhaupt aussprechen kann.
Als ich klein war, hatte ich eine sehr tiefe Stimme und kurze Haare. Dazu habe ich Hosen getragen, viel gelacht und war sehr aktiv. Deshalb haben viele geglaubt, ich sei ein Junge. Und weil ich eine schöne, samtene Stimme hatte, hieß es: „Der wird einmal ein Bass oder Bariton.“ Ich war natürlich beleidigt, weil ich ein Mädchen war und habe geantwortet: „Ich bin kein Bass, sondern eine Koloratursopranistin.“ Ich wusste nicht, was das heißt, aber das Wort hat mir gefallen.
Du bist es geworden. Kannst du erklären, was man darunter versteht?
Zum Koloratur-Fach gehört zum Beispiel „Die Königin der Nacht“. Das sind Partien mit vielen hohen Tönen – vor allem Bellini und Donizetti. Ich bin jetzt in dieses Fach umgestiegen und gebe am 29. August in Bad Deutsch-Altenburg mein erstes Konzert darin. Das Fach gilt als Schlager der Oper. Den Leuten wird das gefallen.
Du meinst, man kennt die Melodien?
Ja, genau. Nehmen wir zum Beispiel „Il Dolce Suono“ aus Lucia di Lammermoor. Kennst du den Film „Das fünfte Element“ mit Milla Jovovich? Da gibt es diese Szene mit der Diva in Blau, die aussieht wie ein Roboter. Sie singt diese wunderschöne Melodie. Nur wenige wissen, dass sie aus der Oper „Lucia di Lammermoor“ von Donizetti stammt, aber jeder kennt die Melodie. Klassik ist sehr poppig und jazzig. Sie ist nicht verstaubt, sondern sehr, sehr aktuell. Du glaubst, die Musik wurde erst gestern geschrieben.
Du hast auf der Bühne 42 verschiedene Partien gesungen und wurdest dafür kritisiert, dich auf kein Fach festlegen zu wollen. Wie geht man damit um?
Die Kritiker meinten: „Zuerst singt sie die Königin der Nacht, dann Mimi, dann Traviata, dann Salome. Was ist das für ein Fach? Was soll das und wer ist die überhaupt?“ Es hieß, ich bin unseriös. Jonas Kaufmann, der heute ein Star ist, ist es auch so ergangen. Er hat Wagner gesungen, dann Puccini. Eben alles, was ihm Spaß gemacht hat. Er hat auf sein Herz gehört. Anfangs wurde er kritisiert, heute sagt jeder: „Wow, er ist eine Ausnahmeerscheinung.“ Bis dahin war es sicher kein leichter Weg. Ich weiß, was es heißt, ständig kritisiert zu werden.
Was hat dir in diesen Zeiten geholfen?
Der Rat im Buch von Jonas Kaufmann, Yoga zu machen. Es hilft dir, deine Ruhe zu finden und deine innere Stimme besser zu hören. Ich kann zwar nicht sagen, dass ich nicht mehr von der Meinung anderer abhängig bin, aber es geht in die richtige Richtung. Ich wurde auch kritisiert, weil ich viel lache. Oft hat jemand gesagt: „Die lacht so deppat.“ Früher hat mich das verletzt, heute stehe ich mehr zu mir und respektiere mich, wie ich bin.
Und das alles nur durch Yoga?
Ich finde meine Ruhe auch in Büchern. Ich liebe Philosophen wie Freud und Nietzsche, aber auch die Russen, wie Soloviev und Berdjaev. Ich lese auch gerne Shakespeare, Voltaire oder Guy de Maupassant. Daraus habe ich viel gelernt. Und von Churchill weiß ich, wie man durch die Hölle geht. „Geh einfach, mach etwas.“ Wenn du gehst, geht es vorbei. Aber wenn du sitzt und grübelst, bist du ein Opfer und wirst verrückt. Ich habe das selbst ausprobiert und kann nur sagen, dass Churchills Rat großartig ist.
Wahrscheinlich geht jeder Sänger durch die Hölle, wenn er seine Stimme verliert. Ist dir das schon einmal passiert?
Das ist ganz schlimm. Wenn ein Auftritt wahnsinnig wichtig ist, verkrampft man sich oft. Das ist wie die Geschichte mit dem rosa Elefanten, an den man nicht denken soll, wenn dich jemand dazu auffordert. Beim Singen sagst du dir: „Ich werde nicht krank, ich werde nicht krank.“ Genau dann wirst du es. Bei mir war das Anfang des Jahres beim Neujahrskonzert in Baden der Fall. Drei Konzerte waren ausverkauft und ich hatte 39 Grad Fieber.
Hast du gesungen?
Ich habe mich bei der Generalprobe sehr schlecht gefühlt und nur mit kleiner Stimme gesungen. Bei uns nennt man das markieren. Der Intendant Bobby Herzl meinte dann: „Wenn du nicht auf die Bühne gehst, erschieß ich mich.“ Ich habe gesagt: „Erschieß dich nicht“, und habe gesungen. Ich habe gezittert, doch als das Publikum mich so toll unterstützt hat, ging es dann. Ich wurde im Vorfeld von Bobby, dem Orchester und dem Dirigenten extrem aufgefangen. Alle meinten: „Deine Stimme klingt wunderschön.“ Auch mein Mann hat mich aufgebaut. Wenn man die nötige Unterstützung bekommt, wird die kränkste Stimme schön.
Das klingt beinahe wie Magie. Oder war es doch eher heißer Tee oder Disziplin?
Ich habe da schon einen Trick. Es nennt sich Liebesspiegel. Stell dir vor, es gebe keine Spiegel. Du müsstest dich darauf verlassen, was dir andere über dich sagen. Du musst es ihnen glauben. Du brauchst Menschen, die dich anspornen und dir sagen: „Du bist toll, du kannst das, du schaffst das.“ Es gibt natürlich auch die, die sagen. „Du bist fett und hässlich.“ Die rauben dir die Energie. Deine Liebesspiegel päppeln dich auf. Jeder Mensch sollte sich seine Liebesspiegel suche. Egal ob es ein Trainer, ein Lehrer oder ein Ehemann ist.
Du bist Russin. Kommst du eigentlich noch oft dazu Russisch zu reden?
Ich habe viele russische Freundinnen, mit denen ich oft telefoniere. Mein Mann spricht auch sehr gut Russisch und manchmal streiten wir in meiner Landessprache. Das Repertoire an Schimpfwörtern ist riesig und füllt mehrere Bücher. Im Österreichischen gibt es im Vergleich sehr wenige.
Schimpfen die Russen so gerne?
Das liegt vielleicht daran, dass das Leben in Russland immer schwierig war. Und das russische Volk ist sehr kreativ und hat für jede Gelegenheit das passende Schimpfwort.
Gibt es ein drucktaugliches Beispiel?
Ich glaube, das singe ich dir lieber ins Ohr.