Niki Lauda über Krisen
Von Barbara Reiter
Herr Lauda, der 60er war Ihnen laut einem Interview aus dem Jahr 2009 wurscht. Wie schaut es mit dem 65er aus?
Niki Lauda: Der ist mir noch wurschter.
Anstoßen werden Sie aber schon.
Ich fürchte, das wird schwierig werden. Ich bin bei Testfahrten für die Formel 1 in Bahrain, die an meinem Geburtstag zu Ende sind. Je nachdem, wie lange sie dauern, werde ich am Abend oder um Mitternacht in Wien landen. Ich habe deshalb überhaupt keinen Plan.
Sie feiern 2014 heuer ja noch ein Jubiläum . . .
Aha, welches?
Sie sind seit 20 Jahren als Kommentator bei RTL tätig. Offenbar wird man nicht müde, Ihnen zuzuhören.
So lange ist das schon. Anscheinend sind sie zufrieden, sonst dürfte ich dort nicht weiterquasseln, um es auf den Punkt zu bringen. Mir macht auch die Zusammenarbeit mit dem Moderator Florian König sehr viel Spaß. Dann habe ich noch meinen Mercedes-Job dazu oder umgekehrt. Die Kombination aus beidem ist für mich eigentlich ganz gut ausgegangen.
Viele Medien haben ja die Unvereinbarkeit Ihres RTL-Kommentatoren-Jobs für die Formel 1 und die Tätigkeit als "Chairman of the Board" beim Team von Mercedes kritisiert. Konnten Sie das nachvollziehen?
Man muss sich das so vorstellen. Der Chairman sitzt bei den vier Board-Meetings, die es pro Jahr gibt, oben drüber. Ich habe ja operativ nichts mit dem Rennauto zu tun. Man muss Dinge trennen können. Ich kann objektiv berichten, ohne Mercedes da hineinzumischen. Die negativen Artikel haben RTL vergangenes Jahr dazu veranlasst, eine Umfrage zu machen, wie meine Kommentare in Kombination mit dem neuen Job ankommen. Herausgekommen ist, dass ich von meiner Objektivität nichts verloren habe. Im Gegenteil. Ich wurde gelobt, wie kritisch ich mit dem ein oder anderen Sachverhalt umgehe. Man muss eine Funktion auf der einen Seite und einen Expertenmeinung auf der andren logischerweise klar trennen. Das ist möglich.
Es gibt aber immer wieder Beispiele von Menschen, die das nicht schaffen.
Warum sollen es die anderen nicht schaffen? Ich bin ja auch nur ein Mensch.
Vielleicht kommt Ihnen da Ihre Geradlinigkeit zugute.
Das kann sein. Viele sind "Wischiwaschi", da geht es einmal nach links, dann nach rechts, dann wieder vor, später zurück.
Halbrunde Geburtstage bieten immerhin die Möglichkeit, zur Rückschau. Ihr Leben war voller Höhen, aber auch extremer Tiefen, die Sie mit mentaler Stärke gemeistert haben. Kommt diese Stärke aus Ihrer Familiengeschichte?
Wenn Sie mich damals beobachtet hätten, bin ich in einer Industriellenfamilie als gut behütetes Seicherl aufgewachsen. Ich musste eine Zahnregulierung tragen und meine Eltern haben mich immer gezwungen, das Falsche anzuziehen – einen Steireranzug und solche Blödheiten muss ich fast schon sagen. Der Konflikt hat dann mit meiner Auto-Affinität begonnen. Die Streitereien haben mich menschlich gedreht.
Wie alt waren Sie, als Sie Ihre Liebe zu den Autos entdeckt haben?
Ich durfte schon als Zwölf-Jähriger auf dem Betriebsgelände meiner Eltern und Großeltern mit Traktoren herumfahren. Da war die Beziehung zu den Maschinen immer möglich. Der Konflikt war dann nicht mit den Eltern, sondern mit dem Großvater. Er war ein Despot und hat bei allem, was ich machen wollte, gegengesteuert. Das hat mein Empfinden, dass ich für mich selbst sorgen und meinen eigenen Weg finden muss, beschleunigt.
Ein Traktor wäre Ihnen später einmal beinahe zum Verhängnis geworden. Was ist bei dem Unfall passiert?
Das war 1976 und ich habe noch in Hof bei Salzburg gelebt. Damals habe mich bei meinem neugebauten Haus mit dem Traktor überschlagen und war irgendwie beim Lenker eingeklemmt. Es war ein Riesenglück, dass ich überlebt habe. Ich hatte Serienrippenbrüche und das Problem, für den Spanien-Grand-Prix schnell wieder fit werden zu müssen.
Und dann kam Willi Dungl.
Genau. Er war damals Betreuer der Skispringer, ein Journalist hatte ihn mir empfohlen. Als er mich untersucht hat, meinte er nur hochnäsig: „Da kann ich nichts machen. Kommen’s zu mir nach Wien.“ Ich dachte mir, „so ein Unsympathler“, bin aber in meiner Verzweiflung doch unter extremen Schmerzen zu ihm gefahren. Er war schließlich sehr nett, weil er gesehen hat, dass mir meine Genesung wirklich wichtig war. Innerhalb von 14 Tagen hat er mich dann mit Spritzen und seinen Mittelchen so fit gekriegt, dass ich mit gebrochenen Rippen Zweiter wurde. Von da an haben wir zusammengearbeitet, bis er gestorben ist.
Wenig später passierte der Unfall am Nürburgring. Stimmt es, dass Willi Dungl Ihre Verbrennungen mit Kräutern behandelt hat?
Die Wunden am Kopf waren ja brutal. Er hat dauernd irgendwelche Kräuter zusammengemischt, aber es hat geholfen. Um dem ganzen Trubel nach dem Unfall zu entgehen, sind wir dann gemeinsam nach Ibiza, wo ich ein Haus hatte. Meine Wunden waren immer noch blutig und rot. Dann sagte er: „Mach’ einen Kopfsprung ins Meer.“ Ich sagte: „Bist du dir sicher?“ Er: „Ja, mach“, und ich bin gesprungen. Es war zwar nicht angenehm, aber es hat funktioniert. Ich hatte enormes Vertrauen zu ihm, weil ich wusste, dass er bis ins Letzte herumbitzelt.
Sie wurden oft dafür bewundert, wie sie mit den Folgen des Unfalls umgegangen sind. Sind Sie einfach ein Meister der Krise?
Als Rennfahrer rechnet man fast damit, irgendwann einen Unfall zu haben. Ich habe das Risiko in Kauf genommen. Aber ich sehe die Leistung, die ich da angeblich erbracht hätte, nicht. Wenn ein Gesunder jemanden anschaut, der verbrennt, findet er natürlich keine Lösung. Du musst dich in den Menschen hineinversetzen. Viele machen das Beste aus ihrem Schicksal. Der Mensch hat eine wesentlich größere Gabe, mit Extremsituationen umzugehen, als man glaubt. Er will ja weiter und fällt nicht gleich um.
Die nächste schwere Krise kam, als 1991 ein Flugzeug Ihrer Airline abgestürzt ist. Wie ist dieser Tag abgelaufen?
Ich werde nie vergessen, wie ich an dem Tag ins Büro kam. Die Spera von der "ZIB" hat mich angerufen und gesagt, es gebe Gerüchte, mein Flugzeug wäre abgestürzt. Da sie sich nicht sicher war, habe ich gesagt: „Vor drei Wochen habt’s mich angerufen und geglaubt, ich wäre bei einem Unfall ums Leben gekommen. Dann wart's froh, dass es nicht so war.“ Ich dachte, es wäre ein Missverständnis wie bei der Unfall-Falschmeldung.
Und dann?
Bin ich sofort zur Unfallstelle geflogen. Man kann nur etwas zu einem Flugzeugabsturz sagen, wenn man weiß, worum es geht. Das war für mich eine klare Entscheidung, auch wenn es fürchterlich war, das alles zu sehen. Die Unfallursache herauszufinden, war für mich der beste Weg, diese schwierige Situation zu meistern. Es hat acht Monate gedauert, ehe ich wusste, dass es die Schubumkehr, also ein technischer Mangel war. Sonst hätte ich sofort zugedreht.
Haben Sie sich nie gefragt: Warum ich?
Dass ich als Rennfahrer verunglücke, war für mich logisch. Aber es war für mich das größte Rätsel, warum es mich beim Flugzeugabsturz getroffen hat. Ich hatte damals vier neue Flugzeuge, andere Flotten hatten 60 alte des gleichen Typs und dort ist nichts passiert. Dann hat jemand gemeint, die einzige Erklärung für diesen Schicksalsschlag wäre, dass ich verantwortlich bin, das Unglück aufzuklären. Nach dem Unfall wurden vom kleinsten Privatflugzeug bis zum größten Airbus alle Flugzeuge weltweit technisch so modifiziert, dass die Schubumkehr nie mehr aufgehen konnte.
Sie haben es sich beruflich nie leicht gemacht. Zuerst mussten Sie mühsam Geld zusammenkratzen, um überhaupt ins Renngeschäft einzusteigen. Später haben Sie die Lauda Air gegründet, wo Ihnen auch von der AUA viele Steine in den Weg gelegt wurden. Treibt Sie Widerstand an?
Ja, und wenn ich dann in irgendeinem Bereich eine Idee habe, treibt mich das doppelt an. Das war immer so. Im Nachhinein gesehen habe ich jetzt einen Vorteil. Alles, was mir passiert ist, ist ja nicht spurlos an mir vorübergegangen. Man weiß danach, wie man damit umgeht. Ich musste natürlich in relativ kurzer Zeit viele extreme Lehrbeispiele durchmachen. Je mehr dazu kommt, desto erfahrener wird man.
1997 musste Ihnen dann als Folge des Unglücks vom Nürburgring, die Niere Ihres Bruders transplantiert werden. Waren Sie keine Sekunde verzweifelt, als Ihr Körper sie abgestoßen hat?
Nein, denn das war für mich völlig logisch aufzuarbeiten. Es gibt Parameter, die besagen, wie wahrscheinlich es ist, eine Niere abzustoßen. Von daher wusste ich: Sie hält nicht ewig. Dann kam Birgit, die ich damals seit acht Monaten kannte und spendete mir eine Niere. Das war für mich ein Riesenproblem.
Warum?
Weshalb soll mir jemand, den ich grad zufällig kennengelernt habe, eine Niere geben? Das war durch die Relation, die wir damals zueinander hatten, inakzeptabel. Aber Birgit war dann sehr bestimmend und meinte: „Ich mache es für dich, auch wenn unsere Beziehung zu Ende geht. Punkt.“ Da konnte ich nach vielen Diskussionen keine Argumente mehr finden. Sie hat mir dadurch das Leben gerettet und die Niere rennt wie ein Glöckerl.
Sie meistern Ihre Krisen also immer mit Logik.
Ich bin Gott sei Dank kein emotionaler Mensch. Dadurch tu' ich mir natürlich viel leichter, den richtigen Weg zu finden. Mit Emotionen und dem dauernden „Ja, aber“ verliert man so viel Zeit und kommt meistens nicht zum Ziel. Das habe ich im Sport gelernt und diese Erkenntnis ein Leben lang beibehalten.
Herr Lauda, bitte lassen Sie uns noch ein paar Themen besprechen, die in Verbindung mit Ihnen immer wieder auftauchen. Sind Sie wirklich ein Geizhals?
Ich bin ganz normal großzügig und rede einfach nicht darüber. Die Geschichte ist irgendwann hochgekommen, aber sie ist natürlich Schwachsinn. Es stehen jeden Tag irgendwelche Blödheiten über mich in Zeitungen. Das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Ich diskutiere also nicht mehr darüber. Und es stimmt natürlich nicht. Ich gehe ganz normal und verantwortungsvoll mit Geld um.
Dann habe ich auch noch gelesen, dass einer Ihrer Formel-1-Pokale früher Ihrem Hund als Fressnapf diente. Stimmt das?
Der nächste Schwachsinn. Die Pokale waren mir wurscht, weil mir der Sieg viel wichtiger war. Ich habe sie dann dem „Gustl" von einer Tankstelle in Hof geschenkt. Der hat mich, wenn ich nach einem Rennen in Salzburg gelandet bin, immer empfangen und Riesen-Augen gekriegt, wenn er den "Häfn" gesehen hat. Irgendwann habe ich dann gesagt: „Da hast“ und ihm das Ding in die Hand gedrückt. Dafür hat er mit dann immer mein Auto umsonst gewaschen. Später habe ich ihm dann alle Pokale gegeben.
Wo sind die Pokale heute?
Irgendwann hat der Bertl Wimmer, ein Freund von mir gesagt: „Du, die Pokale verrosten da in der Tankstelle.“ Dann habe ich sie zurückgekriegt und irgendwann hat mich mein Sohn Lukas gefragt, ob er einen haben kann. Die Bedeutung kam wieder hoch als mir Zak Brown, ein Formel-1-Marketing-Mann erzählt hat, dass er einen Pokal von mir auf "eBay" um 40.000 Euro ersteigert hat.
War das der Pokal, den Sie ihrem Sohn geschenkt hatten?
Ja, der Pokal von meinem ersten Grand Prix Sieg 1974. Dann habe ich den Lukas angerufen und gefragt, was da los ist. Er meinte: „Ich wollte dir das eh schon sagen. Aber wir mussten dem Mathias das Rennfahren finanzieren, weil du ja nicht wolltest, dass er Rennen fährt.“ So war die Geschichte.
Sie haben vorhin Bertl Wimmer als Freund bezeichnet. Ein anderes Reizthema, da Sie seit Jahrzehnten sagen, keine Freunde zu haben?
Bei dem Thema werden alle narrisch. Ich bin ein normal kommunikativer Mensch. Aber einen Freund, der mich aufklaubt, wenn ich da draußen besoffen im Rinnsal liege und nicht weiß, wie ich heimkomme, habe ich nicht. Ich würde ja auch nie da draußen im Rinnsal liegen.
Erst kürzlich hat man im Fernsehen Bilder gesehen, wie Sie sich beim Hahnenkammrennen in Kitzbühel mit Bernie Ecclestone vergnügt haben. Das hat sehr nach Freundschaft ausgesehen.
Mit dem Ecclestone habe ich seit 30 Jahren eine Geschäftsbeziehung, aber ich würde auch ihn nie anrufen, wenn ich im Rinnsal liegen würde.
Aber wenn sie logisch nachdenken: Wer ist Ihr Freund?
Wenn schon alle einen Freund von mir erwarten, ist das die Birgit. Das ist meine Frau, mit der ich Kinder aufziehe und mit der ich logischerweise über alles kommuniziere. Auch wenn ich Schnupfen habe, muss ich das mit ihr besprechen. Dann sagt sie vielleicht: „Wennst krank bist, mache ich dir einen Tee.“
Apropos Tee: Wer zahlt heute den Kaffee? Sie oder ich?
Den zahle natürlich ich, das ist doch logisch. Sie sind ja eine Frau.