Leben

Mykonos

Griechenland ist das, was jedermann kennt, auch wenn er noch nie dort gewesen ist ... Es ist so, wie man erwartet, dass die Erde – gäbe man ihr die Möglichkeit dazu – aussehen sollte, meinte Henry Miller vor 75 Jahren.
Heute, während der Countdown für den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes gnadenlos läuft, versuchen die Griechen weiterhin verzweifelt Überlebenswillen zu zeigen. Am Rande des Abgrunds. In den Städten wie Athen und Thessaloniki – aber auch auf den griechischen Inseln, wo das Geschäft mit dem Tourismus in diesem Sommer vielleicht ein letzter Rettungsanker ist. Vor allem in der südlichen Ägäis, auf den Inseln, die kreisförmig um das einst heilige Delos, eines der Zentren der griechischen Mythologie, gruppiert sind. Mit einer Insel, die den Inbegriff liberaler Lebenslust darstellt, mit einem halbrunden, geschützten Hafen. Wie ein hellenisches Amphitheater. Mit einladenden Bars, Tavernen und Restaurants, aber vor allem auch mit den wenigen noch verbliebenen Kaffeehäusern, den Kafenions, dem Treffpunkt der Männer, wo man bei Brett- und Kartenspielen und Mezedes, kleinen Appetithappen zwischendurch, über Gott und die Welt spricht.

Und alles erfährt. Über Mykonos – die Königin der Kykladen. Hier leben Menschen, die schon immer liberal und weltoffen waren. Auf einer Insel zwischen Party und Paradies. An einem Ort der prallen Gegensätze. Einem Mythos mit zwei Gesichtern. Im Juli und August sucht hier niemand Ruhe. Man will sich unterhalten. Jeder, der im Hochsommer kommt, hat ein Ziel: Den Strand, den Super Paradise Beach. Hier beginnt der Ferientraum. Hier tanzt der Bär. Hier ist tagsüber der Tummelplatz der Lust. Abends fließen Bier und Sekt, Wein und Wodka in Strömen – jeder will ein kleines Abenteuer erleben, auch wenn’s nur für eine einzige Nacht ist. Gefeiert wird, bis die Sonne aufgeht. Unter freiem Himmel wandern vergnügungssüchtige Heteros und Homos von einer Bar in die andere, tanzen sich bei dröhnenden Bässen in Trance. Im Jackie O.´ nahe der Paraportiani-Kirche dann noch die frühmorgendliche, legendäre Drag Show.
Reiche Russen, aber auch Griechen, die rechtzeitig ihr Vermögen ins Ausland verschoben haben, lassen sich für ein paar Stunden im Privatjet ins Saint-Tropez Griechenlands einfliegen. Und manche nähern sich dem Hotspot Mykonos, einer Party-Insel ohne allzu viele Regeln, an Bord einer Yacht. Die Uniformen des Kapitäns und seiner Besatzung sind so strahlendweiß wie die Kirchen des Kykladen-Archipels. Das glitzernde Sternenzelt verstärkt die Vorfreude auf geliehene Lebenslust, Canapees und Cocktails machen Appetit auf mehr. Manchmal zeigt der Meltémi, der unberechenbare, unvermeidbare Sommerwind, seine Kraft. Dann schaukelt’s ganz schön, der Champagner schwappt aus den Kelchen, die schale Konversation reißt schlagartig ab.

Mit der Fähre, der Nabelschnur für die Inseln, ist es am schönsten, sich Mykonos anzunähern. Begleitet vom Kreischen der Möwen und dem einen oder anderen Delfin, der kurz aus dem Türkis des Meeres auftaucht, nähert man sich behutsam. Damit die Seele mitreisen kann. Zwischen jungen Rucksack-Touristen, alten Griechen, die in Athen beim Arzt oder Apotheker ihres Vertrauens waren – solange die Sozialversicherung noch zahlt, zwischen schwulen, verliebten Pärchen und Familien, in deren Augen man jetzt schon den aufsteigenden Stress der nächsten Urlaubstage erkennt. Von Piräus kommend ist man in zwei, drei Stunden, 160 Kilometer östlich von Athen, da. Und es empfangen einen Bilder, die man nie vergisst: pralles Leben, eine pittoreske, an einen Hügel mit alten Windmühlen geschmiegte Altstadt und Architektur, die einzigartig ist.
Von den kubusartigen Häusern, den wie ineinander verschachtelten Würfeln, war der Architekt Le Corbusier, der in den 1930er-Jahren Mykonos entdeckte, hingerissen, aber auch von diesen glücklichen Gefilden, wo das Vernünftige auch von der Freude am Leben geleitet wird. Und die weißen Wohnwürfel, die an die Bauhaus-Ära erinnern, beeindruckten später auch den britischen Schriftsteller Lawrence Durrell: Sie seien ein getreues Abbild der Inselbewohner, die sich eine Schale schaffen, die wie bei einem Meerestier seine Natur mit all ihren Extremen nachbildet, dem Mystizismus und Rationalismus, der Askese und der Lüsternheit.
Bei den strenggeometrischen Kykladen-Häusern ist bis heute alles vorgeschrieben, um den Charakter der Bauten und dadurch der ganzen Insel beizubehalten: Grundrisse, Fenstermaße und die Form der Balkongitter. So mancher Landwirt wurde in den letzten Jahrzehnten durch Grundstücksverkäufe zum Millionär. Auch außerhalb der Altstadt, der Chora, entstanden Villen mit spektakulärem Meerblick – und Grundrissen wie bei den traditionellen Kubus-Häusern im Zentrum.

Wer Mykonos als beschaulichen Archipel des Lichts erleben will, sollte die Tourismusmaschine im Sommer meiden und im Herbst kommen. Das Meer ist noch warm, die meisten Hotels sind noch geöffnet, die Gastfreundschaft wird kultiviert. Am Horizont ziehen die letzten Segelschiffe ihre Kreise, auf den rund 200 Stränden der Insel ist es dann fast ruhig. Wie am Strand von Agios Ioannis, wo man abends die Sonne beobachten kann, während sie müde hinter Delos untergeht.
In Sagen liest man, dass Mykonos durch in Stein verwandelte Riesen entstand, die von Herakles besiegt wurden und danach aus der Ägäis auftauchten. Lange Zeit waren die häufigsten Besucher der verschlafenen Insel Archäologen, die von hier auf die Nachbarinsel Delos übersetzten und einen Tempel entdeckten, der das angeblich zuverlässigste Orakel der damaligen Zeit beherbergte. Genug Geschichte.
Immer mehr Griechen, die der Fantasie vom Glück, dem Traum vom großen Geld erlegen sind, und Alexis Zorbas-Tavernen in München oder Mürzzuschlag eröffneten, kehren heute – trotz trister, ungewisser Zukunft im Nacken – zurück auf ihre Heimatinseln. Nach Korfu, Kreta oder Mykonos. Vielleicht wollen sie schon da sein, wenn wieder mit Drachmen bezahlt wird. Noch einmal von vorne anfangen, ein letztes Mal eine kleine Taverne eröffnen … oder die Frau, die Oma, soll wieder ihr altes Gewerbe ausüben, die Töpferei. Längst ist traditionelles Handwerk, Stickerei, Töpferei und Weberei, nahezu völlig verschwunden, die Souvenirs werden – meist aus Asien – importiert.
In der Altstadt, zwischen den Ramsch-Geschäften, Luxusboutiquen, Schmuckdesignern und Lederwaren-Läden, die auch handgefertigte Isapera-Sandalen (die man allerdings schon über Zalando beziehen kann) führen, gibt es mehr als 50 Galerien moderner Kunst. Die Deutsche Monika Derpapas stellt ihre Mosaike aus, der Brite R. J. North seine bemalten Gegenstände oder die Südafrikanerin Donna Skaropoulo ihre zarten Acryl-Gemälde. Die Amerikanerin Karolina, die seit Jahrzehnten in einem winzigen Atelier hinter den Windmühlen lebt, verkauft ihre Bilder, naive hellenische Motive, nur am Strand. Und nur, wenn sie wieder Geld braucht.

Begonnen hat der ruhmreiche Aufstieg der Insel vor mehr als 50 Jahren. Als der Parade-Grieche Aristoteles Onassis aus dem stickigen Athen entfloh und Mykonos entdeckte. Mit ihm die hellenische Hautevolee, seine schwerreichen Reeder-Freunde – und die Liebe seines Lebens. Eine Erscheinung voller Anmut, Grazie, Stil. Die begehrenswerteste Witwe der Welt. Jackie Kennedy. In ihrem Schlepptau kamen später viele amerikanische Promis und Paradiesvögel, Künstler und Lebenskünstler. Elizabeth Taylor, die sich in einen Tavernen-Besitzer verliebte – die heimliche Liaison sollte mehrere heiße Sommer überleben, der blutjunge Mick Jagger mit Sex/Drugs/Rock’n’Roll-Damenflor, das schwule, exzentrische literarische Wunderkind Truman Capote, der Maler Cy Twombly, einer der wichtigsten Vertreter des Abstrakten Expressionismus Amerikas. Und 1967 war plötzlich der New Yorker Parade-Playboy Pierro auch da. Schon nach wenigen Tagen eröffnete er eine Gay-Beach-Bar. Bis heute gilt das Remezzo als absoluter Hotspot: Great Vibe oder Amazing View twittern die Gäste – glückselig aber erschöpft – nach dem letzten Drink um 6 a.m. Dann schläft manch einer unter freiem Himmel am Strand. Und wird vom Schnattern eines Ausgeschlafenen geweckt. Denn Petrós schläft nachts. Auf der Herrentoilette im Hafen. Er ist das Wahrzeichen von Mykonos. Petrós, der Pelikan.

Pelikan Petros ist eine Touristenattraktion und Selfie-Star der Insel. Er nächtigt in der Herrentoilette am Hafen.

Vor mehr als 60 Jahren fand ein Fischer einen verletzten Pelikan am Strand, den er gesund pflegte. Er nannte ihn Petrós. Der schöne Jäger der Lüfte fühlte sich auf Mykonos wohl und blieb. Eines Tages packte ihn die Abenteuerlust und er flog rüber auf die Insel Tinos. Deren Bewohner, die schon lange auf die tierische Touristenattraktion von Mykonos neidisch waren, stutzten ihm die Flügel, damit er nicht mehr zurückfliegen konnte. Nach längeren, erfolglosen Verhandlungen der beiden Bürgermeister verfügte schließlich ein Athener Gericht, dass die Tinioten Petrós zurückzugeben hatten. Auf Mykonos wurde die Rückkehr des Pelikans tagelang gefeiert, man spendierte ihm ein Weibchen. Doch die Liebe, die Beziehung der beiden blieb eier-, blieb kinderlos. Petrós starb ohne Nachkommen. Jackie O., damals schon längst Frau Onassis, schenkte Mykonos ein Pelikan-Paar. Seit damals leben mehrere Pelikane auf Mykonos. Sie sind die Selfie-Stars der Insel geworden.

Restaurants
Nammos
In der traumhaft schönen Bucht des Psarou Beach gelegen, ist diese exklusive Restaurant-Bar sowohl mittags als auch abends Treffpunkt der Schönen und Reichen. Zumindest einen Drink sollte man sich hier leisten.
www.nammos.gr

Kikis Taverna
Ehemalige Kult-Taverne. Der frühere Geheimtipp am Beach Agios Sostis ist leider keiner mehr. Alle Gerichte vom Grill. Sehr gut, aber lange Wartezeit.

Nikos Taverna
In diesen Klassiker in der Altstadt einzukehren lohnt sich immer. Griechenland zeigt sich hier von seiner besten Seite: herzliche Gastfreundschaft und ausgezeichnetes Essen.
tavernanikos.gr

Hotels
Grecotel Mykonos Blue
Fünf-Sterne-Luxus in Traumlage an der Psarou Beach. Extravaganz in Blau-Weiß. Überirdisch schöner Blick über die Kykladen.
www.mykonosblu.com

Nissaki Hotel
2015 neu renoviert ist dieses pittoreske Fünf-Sterne-Hotel nur fünf Stufen vom berühmten Platis Gialos-Strand entfernt. Eleganter Luxus im Boutique-Stil.
www.hotelnissaki.gr

Hotel Leto
Das älteste Hotel der Stadt gibt es seit 1955. Für all jene, die der Altstadt ganz nah sein möchten. Typisch griechisch, freundlich, nicht immer ganz leise.
www.letohotel.com

Sehen und gesehen werden
Jackie O’-Bar
Im Zentrum des Nachtlebens, im alten Hafen von Mykonos gelegen, gilt für diese legendäre Bar das Motto „from sunset to sunrise in style“.
jackieomykonos.com

Babylon
Populäre und beliebteste „Gay-Bar“. Der beste Tanzclub, an der Waterfront des alten Hafens.
at54.gr/babylon-mykonos

Remezzo
Der Hotspot in town seit 1967. Essen, Musik, Party.
remezzo-mykonos.com