Leben

Moment Aufnahme

Die Fifth Avenue zum Central Park hinauf, runter zum Times Square, dann zur Madison und zur Park Avenue. Wer vor mehr als fünfzig Jahren wissen wollte, wie der American Way of Life strahlt und prahlt, erhielt innerhalb dieser Koordinaten besten Anschauungsunterricht. Menschen aller Hautfarben und aus aller Herren Länder brachten sämtliche Avenues, den Broadway, die Parks, Plätze, Restaurants und Shops in diesem Raster zum Funkeln und Pulsieren. Der Sputnik-Schock war in den Sixties schon wieder vergessen, Optimismus machte sich breit – besonders rund um den 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA.

An genau diesem nationalen Feiertag sagte Ende der 1960er-Jahre ein Schauspieler und frisch gewählter Gouverneur, der noch US-Präsident werden sollte, in einer denkwürdigen Rede: „Wenn Sie wollen, können Sie es Mystizismus nennen, aber ich war immer der Überzeugung, dass es einen göttlichen Plan gegeben haben muss, wonach dieses Volk zwischen die großen Ozeane gestellt wurde, damit die, die sich durch besonderen Mut und durch ihre Freiheitsliebe auszeichnen, es suchen und finden.“

Eine, die sich in dieser Zeit des Aufbruchs zwischen den Wolkenkratzern und Straßenkreuzern der Neuen Welt bereits eingefunden hatte, war eine gewisse Helene McDonald. Die gebürtige Niederösterreicherin war 1959 über Deutschland in das Land der damals wirklich noch unbegrenzten Möglichkeiten gekommen – als 21-jährige Frau eines Korporals der U.S. Army. Das junge Paar hatte sich in Detroit niedergelassen, Helene peilte wegen ihrer noch dürftigen Englischkenntnisse erst gar keinen Job als Sekretärin an, sondern war schon froh, irgendwo als simple Schreibkraft unterzukommen.

Eines aber spürte sie sofort: Dass die Zeichen im riesigen Land auf Zukunft standen. Aber: „Ich hatte damals keine wirklichen Karriereziele“, sagte die spätere First Lady im Personalbüro des US-Präsidenten in einem Interview viele Jahre danach. Das änderte sich, als sie fünf Jahre nach ihrer Ankunft in den USA eine Rede des seinerzeitigen B-Movie-Stars und nunmehrigen Republikaners Ronald Reagan hörte. Zwei Jahre später war dieser Gouverneur von Kalifornien und Helene seine Sekretärin. Und weitere knapp 15 Jahre danach zog sie als Helene von Damm zusammen mit Reagan ins Weiße Haus.

Vom Tellerwäscher zum Millionär: In gewisser Weise wurde dieser amerikanischste aller Träume für das Mädchen aus Österreich wahr. Denn der amerikanische Traum kennt keine Schranken. Alles soll möglich sein. Oder, wie es Paul Arden, der legendäre, ehemalige Kreativdirektor der Werbeagentur Saatchi & Saatchi ausdrückte: „Es kommt nicht darauf an, wer du bist, sondern wer du sein willst“. „Amerika war das mächtigste Land der Welt, also wollte auch ich dorthin“, bringt es Arnold Schwarzenegger in seiner Biografie „Total Recall – Die wahre Geschichte meines Lebens“ (Hoffmann und Campe) auf den Punkt. 1966 hatte der ambitionierte Athlet aus der Steiermark 19-jährig erstmals ein Flugzeug von innen gesehen, zwei Jahre später ritterte er in Florida bereits um den Mister-Universum-Titel. „In New York mussten wir zwischenlanden, und beim An- und Abflug sah ich zum ersten Mal die Wolkenkratzer, den Hafen und die Freiheitsstatue“, notierte Schwarzenegger später.

Besonders aber das pastellfarbene Miami hatte es ihm angetan. „Mir gefielen die Touristenkneipen mit der lateinamerikanischen Musik. Die Mischung aus Latinos, Schwarzen und Weißen war faszinierend. Auch wenn ich in Bodybuilder-Kreisen schon mit vielen Nationen zusammengekommen war, eine solche Völkervielfalt hatte ich zuvor noch nicht erlebt.

Sein einprägsamstes Vierter-Juli-Erlebnis hatte der Amerika-Fan allerdings im Ausland – vor zwölf Jahren im Irak: „Ich war in Bagdad in einem von Saddam Husseins ehemaligen Palästen. Wir zeigten Terminator 3 vor Truppenangehörigen“, erinnert er sich. Im Anschluss daran hielt Schwarzenegger eine Ansprache. Wie immer begann er mit einem Scherz: „Es ist wirklich schlimm, hier durch die Gegend zu fahren. Ich meine, die ganze Armut und so. Man sieht, dass überall das Geld fehlt, der Staat ist am Ende, das Machtvakuum tut ein übriges ... es erinnert mich irgendwie an Kalifornien.“ Apropos Geld. Mit dem Platzen der Immobilienblase im Sommer 2008 und der anschließenden Kernschmelze der Wall Street musste auch der Rest der USA der Realität in die Augen schauen.

Knapp 50 Millionen US-Bürger leben heute in oder am Rand der Armut und werden nur mit Hilfe von Essensmarken satt. Der Traum jedoch, dass ausgerechnet die Vereinigten Staaten das gelobte Land sind, in dem man es aus eigenen Stücken zu Wohlstand bringt, lebt nach wie vor. Nur die Träumer schauen heute etwas anders aus als noch vor 40 oder 50 Jahren. Die größte Anzahl an Greencards wird derzeit an Bewerber aus Mexiko und China ausgegeben. Ob sie ihre IlIusionen aus dem USA-Bild haben, das vielgelobte TV-Serien wie „ Mad Men“ transportieren?

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts schaut die Welt tatsächlich anders aus als zur Hoch-Zeit des American Dream. Mit knapp 200 Ländern gibt es heute mehr Nationalstaaten als je zuvor, die ihren eigenen politischen Weg zu verwirklichen suchen. Doch der Traumfabrik Hollywood ist es geschuldet, dass in Millionen Gehirnen auf der ganzen Welt nach wie vor ein einziger Weg als besonders gangbarer gilt – The American Way of Life. Der ist immer auch mit der Möglichkeit des Mobilen verbunden. Wenn du nur willst, schaffst du es. Hier. Oder dort. Das Land ist groß genug! Auch für den sozialen Aufstieg. Mit dem Car auf dem Weg zum Star. Dieser Glaube bügelte auch die Delle aus, die der ehemaligen Motor City Detroit in den vergangenen Jahrzehnten zugefügt wurde.

„Do it!“ Mach es einfach! Dem provokanten Slogan der Yippies unter Jerry Rubin, der anarchistischen Frontfigur der Hippies, mag heute etwas von der Banalität eines Motivationsseminars anhaften. Zu beweisen, dass der Spruch zu einem Ziel führt, wird auch immer schwieriger. Genauso wie der Foto-Schnappschuss unter der Inflation der Selfies leidet. „Auf dem Gipfel der Macht“, so der liberale amerikanische Historiker William Appleman Williams, „mussten die Vereinigten Staaten feststellen, dass ihre Bemühungen, die Welt zu inspirieren, zu führen und zu reformieren, dauernd vereitelt wurden“. Wenigstens schauten sie dabei ziemlich fotogen aus – wie die Aufnahmen von Joel Meyerowitz beweisen.

Joel Meyerowitz in action: "Fotos sind nicht nur Bilder. Es sind Ideen über das Menschsein,die Zeit und das Licht. Ich habe mich in all den Jahren nie mit der Fotografie gelangweilt. Ich gehe einfach auf die Straße, und die Welt ruft: "Hey, Joel, schau einmal, was ich dir zeigen will."

„Ich gehe einfach auf die Straße, und die Welt ruft: ,Hey, Joel, schau einmal, was ich dir alles zeigen will.’“ In New York wurde Joel Meyerowitz bei seinen Foto-Safaris besonders oft fündig. Auf seinen Bildern aus den 1960er-Jahren wird eine Welt und eine Epoche wieder lebendig, die erst vor kurzem von den Machern der TV-Serie „Mad Men“ wiederentdeckt wurde. Der 1938 geborene Mitbegründer der Street Photography in der Tradition von Henri Cartier-Bresson und Robert Frank gehört neben William Eggleston und Stephen Shore zu den Pionieren der Farbfotografie, der amerikanischen New Colour Photography der 1960/70er-Jahre.

Einen ersten Wendepunkt in seiner Fotografie stellt seine einjährige Reise 1966/67 nach Europa dar, die es ihm erlaubt, seine Farbfotografie kritisch zu hinterfragen. Bereits 1968 zeigte das Museum of Modern Art eine erste Einzelausstellung dieser Arbeiten unter dem Titel „From a moving car". Sein erstes Buch „Cape Light" (1978), in dem er achromatische Variationen des Lichts am Cape Cod untersucht, gilt heute als Meilenstein der Fotografie. Neben seiner Kleinbildkamera, die er immer mit sich trägt, arbeitet Meyerowitz seit Ende der 1970er Jahre auch mit der 8×10 Plattenkamera, die es ihm erlaubt, in einer für ihn neuen und präziseren Weise das Verhältnis zwischen Objekt, Licht und Zeit einzufangen.

Die Ausstellung im KUNST HAUS WIEN gibt, erstmalig in Österreich, einen umfassenden Einblick in das fotografische Spektrum von 50 Jahren seiner Fotografie. Neben den frühen schwarz/weiß- und Farbfotografien der 1960er Jahre werden Werke aus allen Werkgruppen wie Cape Light, Portraits, Between the Dog and the Wolf und Ground Zero präsentiert und erlauben den BesucherInnen einen fotografischen wie kulturellen Bild-Vergleich zwischen Europa und den USA. Darüber hinaus wird der erste Dokumentarfilm über das Leben und Werk des Fotografen, der über einen Zeitraum von drei Jahren in Frankreich, Italien und den USA entstand, zur Aufführung kommen.

Joel Meyerowitz – Retrospektive“ 17. Juli bis 1. November New Colour Photography der 1960/70er-Jahre Kunst Haus Wien. Untere Weißgerberstr. 13, 1030 Wien, tägl. 10-19h www.kunsthauswien.com