Luftschlösser
Von Barbara Reiter
Die Stunde des Glücks schlug für Michael Stern ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als für viele andere das Unglück begann. Man schrieb das Jahr 2008, und Unternehmen auf der ganzen Welt fanden sich in den Wirren der Finanzkrise wieder. Um zu überleben, gab es nur eine Strategie: Verkaufen, was man zuvor an Besitz angehäuft hatte.
So kam es, dass der Telefonkonzern Verizon seinen Sitz, ein 24-stöckiges Art-déco-Gebäude in Chelsea, unbedingt loswerden wollte. Seit 1929 diente der Walker Tower jahrzehntelang als Fernmeldeamt für Manhattan, wo Telefonisten für den richtigen Anschluss sorgten. Dann kam die technische Entwicklung, und das riesige Gebäude wurde nicht mehr gebraucht. Auch Stern, Chef der Immobilienfirma „JDS Development“, zögerte. Schließlich hatte die Lehman-Pleite gerade zum Zusammenbruch des amerikanischen Immobilienmarktes geführt. Da Stern, wie er in einem Interview sagte, aber von dem Gebäude angetan war, kaufte er es für umgerechnet 19 Millionen Euro und ging damit volles Risiko ein. Es war das bisher größte, je von seiner Firma getätigte Investment. Stern ahnte damals noch nicht, dass es das beste Geschäft seines Lebens gewesen war. Er suchte Geldgeber, die bereit waren, 112 Millionen Euro in den Umbau des Hochhauses zu einem Luftschloss mit 50 Edelwohnungen zu investieren, fand sie und hatte wieder Glück. Denn New York entwickelte sich in den folgenden Jahren zum idealen Hafen für Großkapital. Niedrige Zinsen machten Luxus-Domizile zu einer sicheren Anlage, dazu kamen Krisen auf der ganzen Welt. Wer Geld hatte, wollte es in Sicherheit wiegen – vor den Wirren des Arabischen Frühlings, dem unberechenbaren Wladimir Putin, der in Russland wiedergewählt worden war oder dem undurchsichtigen Regime Chinas, dem die Neureichen des Landes nicht trauten. Dazu kamen reiche Anleger aus Euro-Krisenländern wie Italien und Griechenland. Sie reißen sich um Luxus-Apartments, die es eigentlich gar nicht gibt. Die große Nachfrage, genährt von der Angst, sein Geld zu verlieren, hat im „Big Apple“ in Sachen Nobelherbergen zu einem Notstand geführt.
Wie das Immobilien-Büro „Brown Harris Stevens“ errechnet hat, ist der Verkauf von Objekten ab 3,7 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent auf 507,7 Millionen Euro gesunken. Bei Immobilien ab 7,4 Millionen Euro ist der Verlust noch größer: ein Minus von 50 Prozent. Die Anbieter kommen mit dem Bau nicht nach – trotz horrender Preise. Für ein Luxus-Apartment muss man im Schnitt zwischen 4,4 und 5,9 Millionen Euro zahlen. Und die Preise steigen weiter. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Wohnungen im oberen Preissegment um zehn Prozent teurer geworden. Die Reichen kaufen trotzdem. Kein Wunder also, dass Manhattan eine einzige Baustelle ist.
Uptown, Midtown, Downtown: Die Arbeiten verteilen sich über die ganze Insel. Allein in Midtown entstehen links und rechts der Fifth Avenue gleichzeitig etwa zwei Dutzend Wolkenkratzer.
Das erinnert stark an die Skyscraper-Wettläufe der 1920er- und 1930er-Jahre. In der Wolkenkratzer-Gründerzeit wurden allerdings vorwiegend Bürotürme gebaut, während heute Prestigeobjekte entstehen. Damals ging es um Höhe und Wagemut, jetzt zählen nur noch Macht und Geld. Der Verlierer bei diesem Millionengeschäft ist die Mittelschicht. Baufirmen konzentrieren sich vorwiegend auf gewinnbringende Luxusprojekte. Die Schaffung erschwinglichen Wohnraums ist weniger lukrativ und wird daher vernachlässigt. Einzimmer-Apartments in Manhattan sind selten unter 1.100 Euro zu haben. Was übrig bleibt, ist Ultraluxus oder Sozialwohnbau. Damit muss Stern sich nicht belasten. Er ist mittlerweile ein reicher Mann und konnte sein Investment auf 38 Millionen Euro verdoppeln.
Seit Beginn des Jahres stehen die 50 Wohnungen im Walker Tower zum Verkauf. Nur noch wenige sind frei. Auch Cameron Diaz soll sich im Walker Tower eingekauft haben. Man wohnt dort nämlich nicht nur luxuriös, sondern auch architektonisch wertvoll. Das zieht. Die Art-déco-Ornamente des Gebäudes stammen von Ralph Walker, der 1957 von der „New York Times“ zum „Architekten des Jahrhunderts“ gewählt worden war. Das wusste Stern beim Kauf 2009 aber gar nicht. Die Stunde des Glücks hatte ihm gleich mehrmals geschlagen.
Das Geschäft mit Luxus-Immobilien boomt. An der Adresse „400 Fifth Avenue“ ist noch das zweistöckige Penthouse für 24,6 Millionen Euro frei. Die Wohnungen im „One Madison Park“ zum Mindestpreis von 7,8 Millionen Euro sind im Herbst fertig. 56 Millionen Euro kostet das Domizil am „25 Columbus Circle“. „781 5th Avenue“ hat man auf dem Meldezettel stehen, wenn man 71 Millionen Euro locker macht (unten v. l.)
Der Walker Tower im trendigen Chelsea ist eine der Top-Adressen in New York. Das Motto lautet: mehr Bohème, weniger Geldadel. Das derzeit teuerste Apartment auf dem Markt findet man aber im geschichtsträchtigen „Pierre Hotel“, dessen Besitzer einmal Jean Paul Getty war. Das Penthouse erstreckt sich über drei Stockwerke und wird derzeit für 93,5 Mio. Euro angeboten. 16 Zimmer, sechs Badezimmer, vier Kamine mit Umfassungen aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert und jede Menge anderen Luxus darf der künftige Besitzer sein Eigen nennen. Weitere Highlights: Sieben Meter hohe Decken und vier Terrassen, die einen 360-Grad-Blick auf Manhattan ermöglichen. Der ehemalige Besitzer, Aktien-Guru Martin Zweig, starb im Februar im Alter von 70 Jahren. Er hatte die Wohnung 1999 um 16 Mio. Euro gekauft. Das war für damalige Zeiten ein Rekordwert.