Leben

Lauf der Zeit

Das Rad der Zeit. Das sagt sich so leicht. Wo aber sieht man es? An der Armbanduhr vielleicht. Die ist ja ein echter Steher. Zeigt sich selbst im Smartphone-Alltag mit permanent kreisenden Zeigern höchst agil und läuft und läuft und läuft.Na, hier ist es doch, das Rad der Zeit: das Mühlrad. Angetrieben allein von Wasser, dreht es sich seit Jahrhunderten ohne Abnutzungserscheinung. Ein Rad, viel Wasser und ein ganzer Warenkorb, der daraus entwuchs. Eisen, Erz, Farben, Flachs, Getreide, Zwirn, Zucker. Vieles machte erst so richtig Sinn, wenn am Anfang der Verarbeitungskette eine Mühle stand. Für das erst vor Kurzem wieder entdeckte Leinöl zum Beispiel.

Gunther Koblmiller gewinnt dieses „flüssige Gold aus dem Mühlviertel“ an einem Ort, der den Beinamen „historisch“ wahrlich verdient: Seine Ölmühle in Haslach im nördlichen Oberösterreich hat schon mehr als 600 Jahre auf dem Buckel. Klingt nach einer halben Ewigkeit. Derartige Zeiträume sind für Youngsters, die für die neueste Handy-Generation fast ein letztes Hemd geben, unfassbar. Für Herrn Koblmiller aber ganz und gar nicht. „Mit meinem Namen ist diese Mühle zwar erst seit etwa 200 Jahren verbunden“, sagt er. Aber im Großen und Ganzen schaue das verschachtelte Gebäude mit der Adresse „Haslach, Stahlmühle 1“, so aus wie anno 1379. Im Vergleich dazu ist der Presszylinder mit einem Alter von wenigen Jahrzehnten direkt ein Jungspund. Und wenn sich sein Mitarbeiter Sepp der ganzen Apparatur mit dem Plastikeimer nähert, wirkt der Ölpresser inmitten des musealen Ambientes beinahe wie ein Fremdkörper.

Gut, etwas Entscheidendes hat sich doch geändert, man sieht es: Wo früher mit Wasserkraft gemahlen wurde, erzeugen längst Turbinen den Strom für die Geräte. Dabei ist hier alles mit Jahrhunderte alter Erfahrung im Einklang. Und überhaupt: Dass Leinöl einen positiven Effekt auf die Gesundheit und das Wohlbefinden hat, wussten die Mühlviertler lange, bevor jemand auf die Idee kam, Begriffe wie Omega-3-Fettsäure und Vitamine in den Mund zu nehmen.

An diesem Wochenende findet in der 2.500 Einwohner zählenden Marktgemeinde Haslach an der Mühl der Internationale Weber-Markt statt. Ein absolutes Highlight im beschaulichen Alltag der ganzen Böhmerwald-Region. Mehr als 5.000 Interessierte aus dem In- und Ausland kommen, sehen und staunen.


So wie auch Gunther Koblmiller, der für die nächste Zeit wahrscheinlich Zusatzschichten einlegen muss. „I siach, da kumman scho wieda Leit vorbei – die wollen sicha wos kaufen“, unterbricht er daher diesem eher stressigen Tag immer wieder eine zwanglose Unterhaltung, damit das Geschäftliche nicht zu lange Pause macht. Pause? Bei einem Zeitraum von mehr als 600 Jahren, in dem die Mühle beinahe durchgängig in Betrieb ist, dürfte schon einmal eine extralange drinnen sein. Stimmt. Außerdem ist das ein gutes Stichwort, um sich hier einmal genauer umzusehen.

Mehr als 270 Mühlen sind im Oberen Mühlviertel mitten in eine Landschaft aus Bächen, Flüssen und Wäldern gebettet, die nicht zufällig auch die literarische Ader von Adalbert Stifter angestiftet hat. Aber nur mehr drei Exemplare dieser Wirtschaftsgebäude mit angewandter „grüner“ Technologie sind noch in Betrieb. Eines davon ist die seit 200 Jahren im Besitz der Familie Koblmiller befindliche „Stahlmühle“.

Woher dieser Name stammt, ist selbst für den gelernten Baumeister ein Rätsel. Er vermutet, er leite sich vom Begriff „Bestallung“ ab. Egal. Hier befindet sich der Gast Aug in Aug mit der Geschichte. Mehr noch, er ist bei der Anwendung Jahrhunderte alter Rezepte voll dabei. Seit dem Mittelalter fließt aus den Pressen der Mühle beim Dreiländereck Österreich-Deutschland-Tschechien das Leinöl direkt aus der Natur. Eine warmgepresste Essenz, der eine positive Wirkung auf Magen und Darm nachgesagt wird, den Zuckergehalt im Blut verringern und den Blutdruck und den Cholesterinspiegel senken soll. EIn Wundermittel also.

Dabei ist Leinöl nicht das einzige Produkt aus der Haslacher Mühle. Gunter Koblmiller stellt auch Sesamöl, Hanföl, Mohnöl, Kürbiskernöl, Distelöl, Rapsöl und Sonnenblumenöl her. „Leinöl aber täglich“, macht er den Unterschied klar.

Noch etwas ist anders: Früher standen die Öle der Gegend für die typische Zutat zu den traditionellen Arme-Leute-Gerichten. Heute findet man das „flüssige Gold“ wegen seinem eigenen, nussigen Geschmack und seiner regionalen Note auch auf der Speisekarte von ausgesuchten Hauben-Restaurants.


Natürlich aber gibt das Mühlviertel noch mehr her als Gaben für den Mittagstisch -– und das auf geradezu mystische Weise. Steine wirken hier entweder wie Edelsteine oder wie furchterregende Monolithe, Moos im Wald gleicht einem Kuschelteppich. Und Schluchten wie die Klam bei Saxen könnten auch als Schauplatz für einen Psychothriller herhalten. Nicht umsonst ließ sich der schwedische Dramatiker August Strindberg davon inspirieren.


Strindberg verbrachte um 1893 einige Jahre im Mühlviertel. Das als „Steak Strindberg“ bekannte Gericht steht allerdings auf einem anderen Blatt, einem völlig anderen.

www.oelmuehle-haslach.at

Mühlen gelten als Vorläufer der gesamten technischen Entwicklung, da sie die älteste Kraftmaschine der Menschheit, angetrieben durch Wind- bzw. Wasserkraft, darstellten. Die ersten Windmühlen gab es in Asien und Ägypten vor mehr als 3.000 Jahren. Vor etwa 2.000 Jahren verwendeten die Griechen die ersten von Wasserschöpfrädern angetriebenen Mühlen.