Leben

Jane Goodall über Passion

freizeit: Frau Goodall, Sie haben viele Jahre im Dschungel sehr einfach gelebt. Wie geht es Ihnen, wenn Sie in der Wiener Innenstadt so viel Luxus sehen?

Jane Goodall: Es verfolgt mich. Ich hasse shoppen und ich habe auch gar keine Zeit dafür. Meine Leute sagen manchmal: „Diese Kleidung hast du schon in den vergangenen zwei Jahren getragen. Du brauchst etwas Neues.“ Wenn es notwendig ist, kaufen sie dann etwas für mich. Die Jacke, die ich heute trage, ist acht oder neun Jahre alt. Für mich sind andere Dinge viel wichtiger.

Eine Ihrer Lebensaufgaben ist der Schutz von Schimpansen. Unlängst habe ich gelesen, dass es Grundrechte für Menschenaffen geben soll, weil sie uns so ähnlich sind. Wie stehen Sie dazu?

Das ist ein Thema, das viele missverstehen. Sie glauben, dass es darum geht, den Affen Menschenrechte zu geben. Aber das war nie der Punkt. Es ging nur um ein paar Rechte. Die Initiatoren des „Great Ape Projects“ hätten mich gerne als ihre Sprecherin gehabt. Ich habe aber abgelehnt. Grundrechte sind nicht das, worum es mir in erster Linie geht.

Ich hätte schwören können, dass Sie sich voll dafür einsetzen.

Ich bin auch nicht dagegen. Aber wissen Sie: Es gibt überall auf der Welt Rechte, die jeden Tag missbraucht werden. Menschen sind häuslicher Gewalt, Folter oder Sklaverei ausgesetzt. Glauben Sie, es würde Schimpansen helfen, Grundrechte zu haben? Deshalb ist das nicht die Schlacht, die ich schlagen möchte. Ich kämpfe dafür, dass die Menschen die Affen gut behandeln, weil sie das in ihren Herzen so spüren.

Und wie stellen Sie das an?

Ich habe 1991 das Kinder- und Jugendprogramm „Roots & Shoots“ gegründet. Wenn man ökologische und humanitäre Werte vermitteln will, muss man bei den Kleinsten anfangen. Wir sind damit schon in 134 Ländern und es gibt 18.000 aktive Gruppen. Eine Gruppe ist oft eine ganze Klasse. Alleine in Großbritannien sind 1.600 Gruppen aktiv. Das sind mehr als eine Million junge Menschen. Das hat Kraft.

Haben Sie nie das Gefühl, dass es im Hinblick auf die Umweltverschmutzung schon zu spät sein könnte?

Genau das ist für viele Leute der Grund, nichts zu tun. Ja, wir zerstören unseren Planeten. Aber wenn wir alle nichts tun, tritt diese Zerstörung noch viel früher ein. Wer weiß schon, was die Zukunft noch bringt? Wir müssen für eine bessere Welt gewappnet sein.

Aber was kann ein Einzelner ausrichten?

Es heißt immer: „Denke global, handle lokal.“ Das ist falsch. Wenn wir die Probleme global sehen, erscheinen sie übermächtig und wir haben keine Energie, um zu handeln. Aber wenn sie junge Leute fragen, was ihnen wichtig ist, sagen die einen Tierschutz, die anderen saubere Flüsse und eine dritte Gruppe kämpft für eine Welt ohne Plastik. Man muss sich vergegenwärtigen, dass man nicht alleine ist. In 134 anderen Ländern gibt es auch Menschen, denen die Umwelt wichtig ist.

Sie selbst sind 300 Tage im Jahr für Umwelt-Anliegen unterwegs. Woher nehmen Sie die Energie dafür?

Ich esse zum Beispiel kein Fleisch mehr seit ich 69 bin. Aber grundsätzlich bin ich sehr erschöpft. Ich bin so oft müde, dass es für mich schon normal geworden ist.

Wünschen Sie sich nicht manchmal nach Afrika zu den Affen zurück?

Als ich erkannt habe, dass nicht nur die Affen in Gefahr sind, sondern auch ihr Lebensraum, wusste ich, dass ich hinaus und für die Umwelt kämpfen muss. Die Zeiten haben sich aber geändert. Gombe ist heute anders. Die Schimpansen, die ich gekannt habe, sind tot. Es gibt dort viele Touristen, in den Nationalparks herrschen Regeln und der Urwald ist von Dörfern umgeben. Damals hatte ich Gombe für mich. Ich war so glücklich dort.

- Jane Goodall

Ihre Mutter hat Sie 1960 begleitet, weil man eine Frau Mitte zwanzig damals nicht alleine in den Dschungel schicken wollte. Waren Sie froh darüber?

Es war großartig, dass sie es gemacht hat. Gute Schimpansenmütter beschützen ihre Kinder, geben ihnen Zuneigung, haben Spaß mit ihnen und unterstützen sie. Meine Mutter war genau wie eine gute Schimpansenmutter. Sie hat mich unterstützt. Als jeder gelacht und gesagt hat, dass ich es nicht schaffen werde, nach Afrika zu gehen, meinte sie: „Wenn du etwas willst, hart arbeitest und nie aufgibst, wirst du einen Weg finden.“

Ihr Sohn ist ab seinem 12. Lebensjahr bei Ihrer Mutter in England aufgewachsen. Hat Ihnen das nie leid getan?

Bis mein Sohn drei Jahre alt war, waren wir keine Nacht getrennt. Danach haben immer dieselben Menschen auf ihn aufgepasst, wenn ich bei den Affen war. Und als er mit zwölf zu meiner Mutter gezogen ist, haben wir seine Ferien immer gemeinsam verbracht. Es wäre auch nichts anderes gewesen, wenn er in ein Internat gegangen wäre. Aber wenn ich an meinen Sohn denke, bereue ich eines.

Was denn?

Dass ich mich von meinem ersten Mann, seinem Vater, habe scheiden lassen. Ich glaube, es war nicht gut für ihn. Andererseits hatten mein Mann und ich damals keine gute Beziehung mehr. Wer weiß, ob das für meinen Sohn unter diesen Umständen besser gewesen wäre.

Sie sind in Bournemouth an der Südküste Englands aufgewachsen. Sind Sie noch öfter dort?

Immer, wenn ich nicht auf Reisen bin, also nicht sehr oft. Meine Schwester lebt dort und hält so mein Zuhause am Leben. Die Bäume, auf die ich als Kind geklettert bin stehen noch. Jetzt im Winter ist es dort sehr gemütlich. Es gibt einen Kamin, Kerzen und, das Beste von allen, Hunde.

Man konnte schon oft lesen, dass Sie als Kind einen engen Bezug zu ihrem Hund Rusty hatten. Warum?

Er war neben meiner Mutter mein erster Lehrmeister. Durch ihn konnte ich vor den Professoren bestehen, die mir erklärt haben, dass Tiere keine Emotionen und keine Persönlichkeit haben. Mein Hund hat mich schon als Kind anderes gelehrt.

Gibt es ein Beispiel?

Da braucht es kein Beispiel. Man kann weder einen Hund noch eine Katze oder einen Hasen haben, ohne zu wissen, dass sie Persönlichkeit haben. Es gibt Tiere unterschiedlichen Levels, aber du weißt: Sie haben ein Gehirn und können traurig oder lustig sein und fühlen Schmerz.

Wann ist Ihre Liebe zu Tieren erwacht?

Ich habe schon mit einem Jahr begonnen, Tiere zu beobachten. Mit vier wollte ich wissen, wie eine Henne ein Ei legt und habe mich stundenlang in einem Stall versteckt. Später habe ich dann Dr. Dolittle im Fernsehen gesehen, der afrikanische Tiere aus einem Zirkus zurück nach Afrika gebracht hat. Ich glaube, da hat meine Liebesbeziehung zu Afrika begonnen. Und mit zehn bin ich auf das Buch „Tarzan und die Affen“ gestoßen.

Tarzan hatte auch eine Jane.

Ja. Leider hat er die falsche geheiratet.

Sie können sich nicht beschweren. Die interessantesten Männer der Welt unterstützen Sie in Ihrem Kampf für die Umwelt – von Bill Clinton bis Pierce Brosnan. Ich habe auch gelesen, Sie haben die Nummer von Brad Pitt.

Ich habe nur die von Angelina Jolie. Aber ich könnte die von Brad natürlich kriegen.

Viele Menschen würden ein Vermögen dafür geben.

Solche Kostbarkeiten teile ich nicht. Aber Brad ist sehr engagiert, den Menschen in New Orleans ihre Häuser wieder aufzubauen. Wir möchten für „Roots & Shoots“ auch mit ihm arbeiten.

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Wer hat Sie bisher noch fasziniert?

Nelson Mandela zum Beispiel und Konrad Lorenz, den ich ein paar Mal getroffen habe. Aber meistens bin ich von ganz normalen Menschen beeindruckt, die außergewöhnliche Dinge tun. Jemand der mich kürzlich umgehauen hat, ist Chris Koch aus Kanada. Er war in einem meiner Vorträge. Ich war fasziniert von seinem Humor und seinen strahlenden Augen. Sie sind so voller Spaß und Leben, obwohl er keine Arme und Beine hat. Trotzdem hält er Vorträge und gibt vielen Menschen Mut. Wenn man so jemanden kennenlernt, fragt man sich, wie man je wieder über kleine Wehwehchen jammern kann.

Sie werden im April 80 ...

Jeder ist so aufgeregt, weil ich bald 80 werde.

Sie nicht?

Nein, bin ich nicht. Ganz und gar nicht.

Wo werden Sie feiern?

Sehr geheim und ganz privat mit ein paar Freunden. Die Geburtstagsfeier wird ohnehin ein ganzes Jahr dauern, weil jedes Land, in dem es ein Jane-Goodall-Institut gibt, mit mir feiern will. Es sind 134.

Stoßen Sie mit Whisky an? Ich habe gehört, dass Sie ihn gerne trinken.

Ich trinke jeden Abend ein Glas, aber nicht deshalb, weil ich ihn so gern mag. Meine Mutter war eine Whisky-Liebhaberin und es ist meine Art, an sie zu denken. Jeden Abend schaue ich in den Himmel und proste ihr zu. Das werde ich auch an meinem Geburtstag tun. „Cheers Mama!“

Info: www.janegoodall.at