Heller zeigt sein Paradies
Die Luft ist wüstenklar und vor uns liegen zum Greifen nah die schneebedeckten Gipfel des Jbel Toubkal. Er ist einer der höchsten Berge Afrikas, und an seinen Hängen entspringt der Ourika-Fluss, der am Ende in der trockenen Wüste vor Marrakesch versickert. Im Ourika-Tal liegt jener magische Ort, wo schon an der Eintrittspforte in großen Lettern nicht weniger als die Rückkehr ins Paradies versprochen wird: André Hellers Wundergarten Anima. Es sind nur rund 30 Kilometer vom Jemna el Fna, Marrakeschs berühmtem Platz der nächtlichen Gaukler, Wahrsager, Schlangenbeschwörer und Geschichtenerzähler, bis zu Hellers jüngstem Künststück. Der Weg dorthin ist mit den Mühen der Ebene gepflastert. Die Fahrweise der Einheimischen ist – sagen wir – kreativ und wie in vielen Dritte-Welt-Ländern sind die staubigen Straßen von Plastikmüll gesäumt.
Marrakesch, die seltsamste Stadt Marokkos, liegt in der Wüste auf einem riesigen unterirdischen Teich. Eine Oase mit intakter Stadtmauer und geschäftigem Souk, die sich zur Millionenmetropole entwickelt hat. Obwohl die Kolonialzeit längst von der Geschichte verweht wurde, ist die Geschäfts- und Verwaltungssprache bis heute Französisch. Und obwohl die Islamisten bei den letzten Wahlen auch in Marrakesch gewannen, lebt die Stadt großteils vom Tourismus. Insbesondere Franzosen und der Jetset lieben den orientalischen Oasen-Mythos von Marrakesch mit seinen engen Gässchen, Riads und Luxushotels. Vielleicht ist das Jetset-Leben in einer vorindustriellen Gesellschaft mit einer Analphabetenrate von 21 Prozent bei Männern und 42 Prozent bei Frauen besonders aufregend. Paris Hilton schmiss vor kurzem in der Designerherberge Selman, die sie für 48.000 Euro für eine Nacht mietete, eine wilde Party. Von Partypflänzchen abgesehen gedeihen in Marrakesch an die 180.000 wärmeliebende Pflanzen wie Bambus, Yuccapalmen, Papyrusstauden, Zypressen und abenteuerlich hohe Kakteen. Das alles vor einem atemberaubenden Gebirgsspektakel. Schnee, Palmen und die roten Stadtmauern von Marrakesch, was für ein Anblick!
Ein Wunder, denn das Klima ist hart. Sehr hart. Im Sommer kann es bis zu 48 Grad heiß werden. Es ist dann staubig und trocken und man sehnt sich lechzend nach Schatten. Im Winter hingegen, wenn es schneit in den nahen Bergen des Hohen Atlas, strahlt die Kälte unbarmherzig bis in die vor knapp 1.000 Jahren gegründete Oasenstadt. Vor drei Jahren fielen die Temperaturen zuweilen nachts auf minus fünf Grad. Viele Pflanzen, von der Cocos Royale-Palme bis zur Bananenstaude, verabscheuen solche Kälte zutiefst.
Die halbe Stunde bis zu einer versteckten Schotterstraßenabzweigung, die uns vor die Tore von Anima führt, bietet sich zum Grübeln an. Würden Sie fast Ihre gesamte Altersversorgung in die Hand nehmen, um in einem muslimischen, nordafrikanischen Land ein Grundstück von der Größe des Wiener Stadtparks zu erwerben? Würden Sie auf der Hälfte davon einen sündteuren Wundergarten errichten, der am schönsten nach Ihrem Tod sein wird und den einmal Millionen andere Menschen bewundern sollen?
André Heller ist in seinem Leben oft abgebogen, wo die meisten von uns nur den Kopf schütteln würden. Diesmal nach Marrakesch. Sogar seinen geliebten „Giardino Botanico“ am Gardasee samt der herrlichen 800-Quadratmeter-Villa aus dem 19. Jahrhundert hat Franzi Heller, wie ihn seine 101 Jahre alte Mutter nennt, für sein aufwendiges Gartenprojekt in Marokko verscherbelt ...
Noch mehr Bilder, die ganze Geschichte und weitere Highlights zum Garten sowie ein Interview mit dem Künstler finden Sie in der aktuellen freizeit)